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Das böse Auge

Das böse Auge

Titel: Das böse Auge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Hoffmann
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Menschenkind hierher? Waren die Valunen nun endgültig von allen guten Geistern verlassen? Sollte dieses blaßhäutige Mädchen, kaum älter als sechs, sieben Jahre, ihr neuer Häuptling sein – die neue Hordenführerin?
    Was das für ihn selbst bedeutete, erfaßte Luxon im ersten Augenblick gar nicht. Er hatte nur Augen für das Kind, dessen goldenes Haar selbst in der Düsternis schimmerte.
    Und die Valunen strömten zusammen, umtanzten den Felsen und schrien im Chor:
    »Erzähle! Erzähle uns deine Geschichte, Kind mit dem goldenen Haar!«
    Das mußte ein Traum sein! Ein kleines Mädchen hier allein in der Düsterzone!
    Luxon setzte sich am Rand der Senke hin und wartete darauf, daß der Spuk verschwand. Dann aber hörte er die helle, klare Stimme. Augenblicklich verstummten die Zwerge und hockten sich um den Erzählerfelsen herum auf den Boden. Ihre Augen richteten sich auf das Kind. Luxon wollte aufspringen und es warnen. Es wußte ja nicht, in welcher Gefahr es sich befand. Doch diese feine Stimme, aus der keine Furcht sprach, verzauberte ihn.
    »Was soll ich euch denn erzählen?« rief das Mädchen. »Ihr habt mich doch gerettet. Ihr wißt doch, wie ich zu euch kam.«
    Gerettet? Die Valunen hatten das Kind gerettet? Wovor und wann?
    Luxon blieb sitzen. Nein, dies war kein Traum. Und zumindest einen Vorteil hatte es, daß die Zwerge nun ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Mädchen richteten: Sie ließen ihn in Ruhe. Keiner sah ihn mehr an, so wie sie es seit seinem zweiten, Fluchtversuch ohne Unterlaß getan hatten. Schon konnte er wieder klarer denken, und er wußte, daß er zunächst einmal abzuwarten hatte, bis er wußte, was geschehen war, als er schlief.
    »Erzähle uns von dir!« rief der Zwerg, der seinen Stammplatz auf dem Felsvorsprung eingenommen hatte. Er trug noch das Halsband. »Erzähle, wer du bist und wo du herkommst!«
    Plötzlich hatte Luxon das Gefühl, daß das Mädchen ihn ansah. Und trotz des Halbdunkels glaubte er zu erkennen, daß ihre Augen einen seltsamen Schimmer besaßen, gerade so, als ob sie…
    Als ob sie blind waren?
    Luxon mußte schlucken. Und als das Kind nun zu sprechen begann, lauschte er nicht minder erregt als die Valunen.
    »Ich bin Dai!« hörte er es sagen. »Und ich weiß nur, was meine Mutter Cyrle mir immer vor dem Einschlafen über uns erzählte. Wir wurden vor vielen Monden von einem Zauberer in die Düsterzone entführt und auf sein Schloß gebracht. Mein Vater war ein König in einem fernen Land. Er schickte seine Krieger aus, um uns zurückzuholen, aber der Zauberer tötete sie alle. Und jeden Tag kam er in unser Gemach und quälte uns, indem er sagte, daß mein Vater aus Gram gestorben sei. Aber das glaube ich nicht. Er ist ein mächtiger und guter König und wird uns eines Tages finden.«
    Armes Ding! dachte Luxon. Dich wird hier niemand mehr finden.
    Aber wie kam es, daß sie so frei sprechen konnte? Manchmal glaubte er, daß sie zu weinen beginnen müßte. Doch dann redete sie weiter. Was gab ihr die Kraft dazu? Sie war noch so jung.
    Oder nur besonders raffiniert? Hatte dieser Zauberer, von dem sie sprach, sie bereits verhext, so daß sie sich der Tücken der Düsterzone erwehren konnte? Sie begriff viel zu schnell, was die Valunen, von ihr wollten – schneller als er, als er von Necron im Stich gelassen worden war.
    Er lauschte weiter. Mitleid überkam ihn, als sie nun berichtete, wie der Zauberer sie und ihre Mutter Cyrle tagtäglich aufs neue quälte, sie hungern ließ und allerlei abscheulichen Qualen aussetzte. Immer wieder stockte das Mädchen. Die Valunen schienen so gefesselt von ihrer Erzählung, daß sie sogar vergaßen, sie zum Weiterreden aufzufordern. Luxons Mißtrauen schwand dahin. Wieso redete sie weiter, als gäbe es keine Zwerge, die ihr mit ihren furchtbaren Blicken die Worte von den Lippen saugten? Konnte sie das nicht nur, wenn sie wirklich blind war?
    Und wahrhaftig – sie begann jetzt zu weinen, als sie davon erzählte, daß der Zauberer, dessen Namen sie noch nicht genannt hatte, sie zur Strafe für einen Ausreißversuch blendete. Das aber war seine letzte schändliche Tat gewesen, denn in ihrer Verzweiflung konnte Cyrle ihm, ohne daß er es bemerkte, ein Gift in seinen Trank geben.
    Luxon hatte das Bedürfnis, sie in seine Arme zu schließen und vor den Valunen zu beschützen. Doch sie sprach noch weiter:
    »Dann… dann lebten wir allein in diesem großen, finsteren Schloß, das von vielen furchtbaren Drachen bewacht wurde. Meine

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