Das boese Blut der Donna Luna
aus offenen, freundlichen kastanienbraunen Augen an. Giuliano Zanni schien wirklich in Ordnung zu sein. Kaum hatte Don Silvano mit gesenktem Kopf und von Zweifel zerfurchtem Gesicht den Raum verlassen, suchte er in seinem Computer nach der Datei von Paulette und Malina.
Da waren sie, mit Foto, Vor- und Nachname, Geburts- und Wohnort, Geburts- und Todesdatum. Auch der Stand der noch offenen Verfahren bezüglich ihrer Anträge war vermerkt. Zanni erklärte Nelly, leider hätte sich die Tatsache, dass die beiden bei Claire wohnten, die bei den Behörden als Zuhälterin galt, auch wenn sie aus Mangel an Beweisen nie offiziell verurteilt worden war, nachteilig ausgewirkt. Ihre Mädchen arbeiteten stets außer Haus, brachten nie Männer mit zu ihr, achteten sehr auf ihre Gesundheit, ließen sich regelmäßig auf AIDS testen, waren nie in Schlägereien verwickelt und fielen auch sonst nicht störend auf. Alle hielten sich peinlich genau an die Vorschriften.
Doch die Entscheidungen der Einwanderungsbehörde waren in erster Instanz negativ ausgefallen – Malinas Kinder betreffend unter Verweis auf die »ungeeignete« Umgebung, in der sie lebte, und bezüglich Paulettes Aufenthaltsgenehmigung vielleicht aus Sorge, die blutjunge Farbige könnte in die Fußstapfen von Madame Claires anderen Schützlingen treten. Paulette war angehalten und kontrolliert worden und hatte keine Aufenthaltsgenehmigung vorweisen können. Es war ein Abschiebungsverfahren gegen sie eingeleitet worden, über das man sie rund zehn Tage vor ihrem Tod unterrichtet hatte. Er hatte es angefochten, doch das Mädchen war ganz verzweifelt gewesen bei der Vorstellung, Italien verlassen zu müssen, und sie hätte das Ergebnis des Revisionsverfahrens in ihrem Heimatland abwarten müssen. Leider war dies nun für beide hinfällig. Nelly fragte Giuliano, ob er die zwei gut gekannt habe.
»Gut? Gott, ja, es kommen so viele in unser Büro, und wir versuchen, ihnen eine möglichst persönliche Hilfestellung zu geben, aber dann ... Ich habe sie ein paar Mal gesehen, um mit ihnen die Revisionsanträge auszufüllen. Sie kamen fast immer zusammen, waren fröhlich, sympathisch. Als sie hörten, dass die Dinge nicht so liefen, wie sie es sich gewünscht hatten, weinten sie wie die Schlosshunde und flehten mich an, ihnen zu helfen. Besonders Paulette war in letzter Zeit ziemlich bedrückt. Sie wollte auf keinen Fall abgeschoben werden, sie fühlte sich wohl in Italien. Die armen Mädchen.«
»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«
»In der Woche bevor Paulette umgebracht wurde, am Dienstag«, antwortete er, nachdem er einen Blick in die Datei geworfen hatte. Nelly fragte, ob sie noch jemanden vom Verein gekannt, sich mit jemandem getroffen hätten. Soweit er wisse, keinen, sie waren nur wegen des juristischen Beistands gekommen.
Nachdem Nelly erfahren hatte, dass der Anwalt Federico Manara nachmittags im Verein sein würde, verabschiedete sie sich, stürzte in eine Bar in der Via Balbi, verputzte die letzten drei Scheiben Focaccia und zwei Tramezzini mit Thunfisch und Salat aus der Vitrine, trank fast einen Liter Mineralwasser und zwei pechschwarze Espressi und versuchte mehrmals erfolglos, Mau zu erreichen. Inzwischen war es nach zwei, und sie begann schon unruhig zu werden, als das blöde Ding endlich fiepte.
»Mau, endlich. Und?«
»Alles gut, Ma, auch für Moni. Achtzig ich und vierundneunzig sie. Die Bracco hat’s uns heimlich gesagt, die Italienischlehrerin, weißt du. Die ist ein Engel, hättest du nicht gedacht, was?«
»Großartig, Mau, super, mein Schatz! Ihr seid beide toll. Wo seid ihr?«
»Im Zug nach Cavi di Lavagna, den Nachmittag am Strand haben wir uns verdient. Wir sehen uns später, Küsschen.«
Wenigstens das hatte geklappt. Vor Freude gönnte sich Nelly auch noch einen Babà mit Rum und einen dritten Kaffee, was soll’s. Eine Sorge weniger, was für eine Erleichterung. Inzwischen hatte sie Tano und Lojacono über Diego Gómez unterrichtet, und dass es sich bei dem jüngsten Toten aller Wahrscheinlichkeit nach um ihn handelte. Sie sollten Pedro Ventura um eine Identifizierung bitten. Und übrigens, wie war der Kolumbianer gestorben? Man hatte ihm die Kehle durchgeschnitten, hatte Lojacono knapp geantwortet, ganz offensichtlich verärgert darüber, dass »seine« Ermittlungen womöglich in den Fängen von Nelly & Co. landen würden, wie er das für die Fälle der enthaupteten Frauen zusammengestellte Team nannte, obwohl eigentlich
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