Das Böse, das im Herzen schläft: Thriller (German Edition)
furchterregender, weil die Gefahr nur teilweise bekannt war. Rowan sah sich um. Jakes Lampe war schon halb dunkel– das Aufleuchten eines Katzenauges, das man in einer klaren Nacht schwinden sähe, bis es eins von vielen Lichtgespenstern wäre.
Einen Moment lang wusste Rowan nicht genau, wo er hingehen sollte. Irgendetwas war mit seinem inneren Kompass geschehen; er hatte den geografischen Nordpol verloren und wurde magnetisch in die falsche Richtung gezogen. Der Hund hätte alles ganz leicht gemacht. W enn er ihnen doch nur diesen verdammten Hund gekauft hätte.
SECHSUNDVIERZIG
Plötzlich hatte er das scharfe Gehör eines halb so alten Mannes, überempfindlich für alles– vom Klopfen stahlharter Äste bis zum Rascheln des welken Farns und dem Knacken der Heide unter seinen Stiefeln sowie für das leise, aber beharrliche Knistern, das immer ertönte, wenn er den Arm schwang. Etwas hatte sich zwischen das gewachste Segeltuch und das Polyesterfutter seiner Jacke geschoben. Der gleiche Impuls, der ihn am Morgen nach seiner Sauferei veranlasst hatte, eine hektische Durchsuchung des Hauses vorzunehmen, brachte ihn jetzt dazu, sich selbst von Kopf bis Fuß abzusuchen, bis er den Ursprung des Knisterns schließlich gefunden hatte. Fast erleichtert sah er den Führerschein. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er ihn eingesteckt hatte, aber jetzt schob er ihn wieder in die Tasche und setzte seine Suche fort.
Erstaunt stellte er fest, dass es ihm auf einmal perversen Trost spendete, an Lydia zu denken und an das, was er gelesen hatte. Es half ihm, mit der unerträglichen Krise zurechtzukommen, wie man sich die Fingernägel in den Handballen bohrt, um nicht wegen eines viel größeren Schmerzes zu weinen.
Irgendwo räusperte sich jemand. Rowan schwenkte seine Taschenlampe herum und sah, dass ihr Lichtstrahl sich mit einem zweiten kreuzte. Ein mattes X aus Licht schnitt sich in den Nebel. Am Ende des zweiten Strahls stand Felix. Als Rowan näher trat, sah er, dass sein Sohn geweint hatte. Trotz der Dunkelheit sah er die leuchtenden Flecken in seinem Gesicht. Tränen sahen immer schlimmer als sonst aus, wenn sie von Felix kamen. Natürlich war es sowieso furchtbar, wenn ein Mann weinte, aber wenn Felix weinte– was er selten tat–, war es, als bemühe sein linkes Auge sich übermäßig um Ausgleich für den verlorenen Zwilling. Einen Moment lang standen sie einander so gegenüber, starr im Licht ihrer behelfsmäßigen Suchscheinwerfer.
» Was hat die Polizei gesagt?«, fragte Felix stockend.
» Ist noch nicht aufgetaucht.«
» Vielleicht haben sie sie schon, oder vielleicht hat W ill die beiden gefunden oder Matt. Ich hätte mein Telefon mitnehmen sollen. Auf der anderen Seite des W aldes gibt es ein Funknetz. Ich habe nicht nachgedacht.«
Ihre Gesichter konnten sie nur sehen, wenn sie einander in die Augen leuchteten, was den V erhörcharakter dieses Gesprächs noch verstärkte.
» Felix, da hat sich etwas gefunden, das mich…« Rowan suchte nach W orten und spürte, wie seine Autorität mit jeder Sekunde des Zögerns weiter dahinschwand. » Es fällt mir nicht leicht, dich zu fragen, aber… W ie heißt Kerry mit Nachnamen?«
» Was?… Stone.« Felix zog die Brauen zusammen.
» Nicht nach dem hier.« Rowan richtete seine Taschenlampe auf das Dokument. Felix’ Gesicht zeigte abwechselnd Schmerz und V erwirrung. » Wie erklärst du dir das, Felix?«
Eine Pause trat ein, und Rowan sah, dass nicht nur der Name den Jungen ratlos machte. » Ich wusste nicht, dass sie überhaupt Auto fahren kann. Das muss jemand anderem gehören. Da ist ja nicht mal ein Foto drauf, oder?«
» Sophie hat es in Kerrys Tasche gefunden«, sagte Rowan.
Felix schaute noch einmal hin. » Kell-a-way«, sagte er und ließ den Namen nachklingen, als habe er ihn noch nie gehört.
Es gab Rowan einen Stich: Er fühlte sich, als habe er seinen Sohn verraten, indem er ihn verdächtigte. Aber hatte er nicht gerade an diesem W ochenende gelernt, dass wir die anderen nicht kennen, ganz gleich, wie sehr wir sie lieben?
» Sie heißt Kerry Stone. Das hier muss einer anderen Kerry gehören, oder? W as soll das sonst bedeuten? Und warum sollte sie lügen, wenn sie… Und was soll das mit Edie zu tun haben? Dad, was ist hier los? Ich verstehe das nicht!« Felix’ Stimme wurde eine Oktave höher. » Dad, wo ist sie?«
» Wer jetzt?«, fragte Rowan, bevor er sich besinnen konnte.
Felix sah ihn an, als habe ihn ein Schlag getroffen.
» Edie
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