Das Böse, das im Herzen schläft: Thriller (German Edition)
müssen.
EINUNDFÜNFZIG
Rowan schmeckte Salz auf der Oberlippe. Drei Stimmen versuchten panisch, das Rauschen des Brenners zu übertönen. Tara flehte Matt an, die Flamme abzudrehen. Sophie schrie immer wieder nach Edie. Felix rief Kerrys Namen. Selbst Rowan, der mittendrin stand, hatte Mühe, einzelne W orte zu unterscheiden. Für jemanden, der vor dem Cottage stände, auf der anderen Seite der Flamme, müsste das Geschrei wie wortlose Tierlaute klingen.
Was hinter Matt vorging, war nicht zu erkennen, aber er warf immer wieder kurze Blicke über die Schulter. Einmal war ihnen sein Hinterkopf volle zwei Sekunden lang zugewandt. » Jetzt!«, sagte Rowan und packte Felix beim Unterarm, aber bevor Felix fragen konnte: » Jetzt was?«, beobachtete Matt sie wieder, und der Brenner war auf sie gerichtet. Sophie rappelte sich hoch und stürmte selbstmörderisch der Flamme entgegen, aber die Hitze schleuderte sie zurück wie mit körperlicher Gewalt. Auch sie musste lernen, dass der Geist die Materie nur innerhalb bestimmter Grenzen beherrscht und dass der Körper sich unabhängig vom V erlangen des Herzens jeder Todesgefahr widersetzen wird.
Dann tauchte für einen winzigen Moment Kerrys Gesicht hinter Matts linker Schulter auf: zwei funkelnde schwarze Augen in einem blassen Oval. Sie war wieder weg, bevor Rowan anfangen konnte, seinen Augen zu trauen. Hatte er sie wirklich gesehen? Oder einer der anderen?
» Kerry?«, schrie Felix.
» Kerry!«, sagte Matt in scharfem Befehlston.
» Edie?«, rief Sophie. » Hatte sie Edie?«
Matt reckte den Hals nach links, aber er schaute in die falsche Richtung. Das Licht schien über seine rechte Schulter auf Kerry, die vielleicht einen Schritt hinter ihm stand. Ihre Erscheinung flimmerte in der Hitze, aber Rowan sah, in welchem Zustand sie war: Schwarzer Schmutz war auf ihren W angenknochen verschmiert, und ein welkes Blatt hing im Nest ihrer Haare. Und da, an ihren Hals geschmiegt, war Edie, oder doch wenigstens eine zusammengerollte W olldecke, in der sie stecken konnte. Ein Gebet ohne W orte rieselte durch Rowans Adern. Matt schaute immer noch in die falsche Richtung, aber solange er den Brenner in der Hand hielt, konnten sie nicht wagen, diesen V orteil zu nutzen.
Kerry zog langsam und bedächtig den oberen Rand der Decke herunter und entblößte im Licht der Lampe die hell leuchtende Rundung von Edies Kopf. Die Zeit schien sich zu dehnen und dann stillzustehen. Das einzig Drängende war die pulsierende Fontanelle des Babys. Rowan spürte, wie sein eigenes Herz im selben Takt schlug, aber er gestattete sich nicht eine Sekunde lang Erleichterung. Kerrys beängstigend leerer Blick machte es unmöglich zu erraten, was sie vorhatte. Zeigte sie ihnen, dass das Kind wohlbehalten und unversehrt war, um sie zu beruhigen, oder wollte sie sie nur verhöhnen, bevor sie Edie wegbrachte oder ihr etwas antat?
Rowan fühlte die V eränderung, die in Sophie neben ihm vorging, und wusste, auch sie hatte Edie gesehen. Ihre Sehnsucht war so stark, dass man sie beinahe sehen konnte wie den Rauch, der von einer W underkerze aufstieg. Sag nichts, beschwor er seine Tochter lautlos. V errate ihm nicht, wo Kerry ist. Lenke ihn nicht zu dem Kind. Die Stimme, die sich dann erhob, gehörte Felix.
» Kerry, um Gottes willen, steh nicht einfach da. Nimm das Baby und hau ab, verdammt!«
Rowan hatte gerade noch Zeit, seinen Sohn zu verfluchen, als Matt schon herumfuhr. Es gelang ihm, den Gasbrenner weiter auf die Familie zu richten, während er mit der freien Hand hinter sich griff. Seine Gestalt war jetzt im W eg, und das Licht half ihnen nicht mehr. Die Flamme überdeckte das Gerangel in der Dunkelheit, und die MacBrides verfolgten wie ein gebanntes Publikum das monströse Schattenspiel vor ihnen. Rowan bekam nur mit, dass Kerry nicht schnell genug war. Matt packte sie beim Hals und schlug sie mit dem Kopf hart gegen den steinernen Türrahmen. Das alles wirkte wie in den Zeitlupenaufnahmen von Crashtest-Dummys, die durch eine Frontscheibe schwebten. Kerry rutschte so langsam an dem Türrahmen herunter, dass es absichtsvoll und spöttisch gewirkt hätte, wenn ihre Augenlider sich nicht flatternd geschlossen hätten und die hellrot leuchtende W unde an ihrer Stirn nicht gewesen wäre. Matt brauchte eine Sekunde, die endlos zu dauern schien, um Kerrys erschlaffenden Armen das Bündel zu entreißen und es auf seine Schulter zu heben, nur wenige Handbreit von der Gasflamme entfernt. Das Baby öffnete die
Weitere Kostenlose Bücher