Das Böse, das im Herzen schläft: Thriller (German Edition)
Solidarität.
» Jake hat einen Ständer!«, sagte Leo in theatralischem Flüstern zu Toby, woraufhin Will seinen zweiten Sohn wie ein Surfboard unter den Arm klemmte, ihn davonschleppte und ihm mit gedämpfter Stimme eine Standpauke hielt.
Sophie unternahm mehrere Versuche, sich an Kerrys Seite zu schieben und ihr die fällige Entschuldigung anzubieten, aber das wollte sie lieber unter vier Augen tun, und immer war jemand da, der etwas von ihr forderte, eine kleine Hand, die sie auf holprigem Gelände halten sollte, ein Erwachsener, der die Pläne für den Abend zu Ende bringen wollte.
Sie wechselten sich damit ab, Edie zu tragen. Mit neun Monaten hatte Charlie sich geweigert, sich von jemand anderem als seiner Mutter auf den Arm nehmen zu lassen. Sophies Rücken war dankbar dafür, dass ihre Tochter sich mit Vergnügen auch anderen Armen anvertraute, auch wenn ihr Herz manchmal Mühe hatte, es genauso zu sehen.
Die einzigen Landmarken– ein benachbartes Bauernhaus und die Straße dahinter– lagen meilenweit weg im Dunst. Sie stapften hinauf zu den verstreut liegenden, unterschiedlich stark verfallenen Hütten und Schuppen, die so manches kindliche Versteckspiel erlebt hatten. Das einzige Gebäude, dessen Zweck man noch erkennen konnte, war das alte Cottage.
» Wir haben hier gespielt, als wir klein waren«, sagte Felix zu Kerry, die Edie seit ungefähr einer halben Meile trug. » Im Sommer haben wir manchmal Feldbetten mit hinausgenommen. Ist natürlich eine absolute Todesfalle.« Er stellte sich auf die Zehenspitzen und zog behutsam an einer Dachpfanne. Sie rutschte herunter und ließ mehrere ihrer Nachbarn ebenfalls auf den Boden poltern. » Mum und Dad hat es anscheinend nichts ausgemacht, als wir klein waren, aber heute ist alles verschlossen, damit die kostbaren Enkelchen sich da drin keinen Fingernagel abbrechen oder den Zeh anstoßen.«
Kerry nickte ernst und schob Edie auf der Hüfte ein wenig höher. Sophie kämpfte einen Stich der Eifersucht nieder, als sie sah, wie entspannt das Baby mit dieser Fremden umging.
Sie ging schweigend neben Tara her, als Toby sich zwischen sie drängte und seine beiden Hände in ihre schob. Über seinen Kopf hinweg wechselten die Schwestern einen Blick, der sagte: Das hat er schon länger nicht mehr getan. Was er wohl will?
» Wann gehen wir heute Abend zu den Teerfässern?«, fragte Toby.
» Ich nehme an, du gehst mit Daddy und Grandpa und allen anderen«, sagte Sophie. » Aber ich muss im Haus bleiben und auf Edie aufpassen. Sie ist noch viel zu klein, um sie mitzunehmen.« Sie sah Tara an. » Ich bin nicht mal sicher, ob ich Charlie mitgehen lassen sollte, ehrlich gesagt.«
» Ach Mum«, sagte Toby, » du bleibst immer bei Edie. Nie machst du mehr was mit uns. Mädchen sind kacke.«
» Sag nicht kacke. Und es ist nicht, weil sie ein Mädchen ist, sondern weil sie klein ist. Sie bleibt ja nicht ewig so klein.«
» Ja, toll«, sagte Toby, » aber dann bin ich erwachsen, und das ist dir egal. Dir sind alle anderen egal, seit sie geboren ist.«
» Toby, das ist nicht wahr!«
» Ist es wohl. Aber von mir aus. Es ist allen kackegal , ob du mitkommst oder nicht.«
Er stapfte davon und verschwand im Nebel.
» Ich könnte doch im Haus bleiben und auf Edie aufpassen«, sagte Kerry, die plötzlich neben Sophie auftauchte. » Mir gefällt nicht, wie sich das anhört– all das Feuer, die vielen Menschen und so weiter.«
Bei dem Gedanken, Edie allein bei jemandem zu lassen, der nicht zur Familie gehörte, geriet Sophie in Panik. Statt sich bei Kerry zu entschuldigen, wie sie es vorgehabt hatte, ging sie plötzlich in die Offensive. » Ich glaube, das ist keine so gute Idee. Komm, ich nehme sie dir ab.« Sie hatte ihr das Kind nicht entreißen wollen, und sie hatte auch keinen so schroffen Ton anschlagen wollen, aber plötzlich stand Kerry mit leeren Armen da und bat verwirrt und mit leiser Stimme um Verzeihung. Sophie ging weiter und blickte starr geradeaus, aber sie spürte Taras Blick.
» Was ist?«, fragte sie.
» Gib dem armen Mädchen doch eine Chance. Warum soll sie denn nicht auf Edie aufpassen? Wieso bist du immer zu stolz, um Hilfe anzunehmen, wenn sie dir angeboten wird?«
Sophie war wie vom Donner gerührt. » Was soll denn das heißen?«
» Ich und Matt meinten gerade noch, wie gut es wäre, heute Abend mitzugehen. Ich meine, es würde dir guttun.«
» Oh, ich bin froh, dass mein Privatleben euch Stoff für eure Bettgespräche liefert.«
Tara
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