Das Böse, das im Herzen schläft: Thriller (German Edition)
sehr klein war. Diese Schule, versprach sie, würde meine Rettung sein, wie ich die ihre gewesen war, und mein Aufenthalt dort sei die einzig denkbare Rechtfertigung dafür, dass ich sie jeden Tag für so lange Zeit verließe. Ein so einzigartiges und besonderes Kind wie ich verdiene, ja, brauche eine einzigartige und besondere Umgebung. Die Cath hatte eine Vorschule für Kindergartenkinder, aber für die Aufnahme an der Oberschule musste man dreizehn sein, und jedes Jahr wurde ein Stipendium an ein Kind dieses Alters vergeben, dessen Familie sich diese Schulausbildung nicht leisten konnte. Ich war elf, als die ersten offiziellen Annäherungen begannen.
Die Zimmer, die wir damals bewohnten, befanden sich im obersten Stock eines Hauses an jenem Ende der Old Saxby Road, das reif für die Gentrifizierung war. Die Häuser in unserer Straße waren vermietet an Studenten, Migranten und Leute, deren Miete vom Sozialamt bezahlt wurde. In den Zimmern unter uns herrschte ein dauerndes Kommen und Gehen. Aber unabhängig von Nationalität und Alter waren es immer ungebildete Leute ohne jede Neugier wie die Proles aus 1984 . Meine Mutter nannte sie die » Nichtse«, und ich durfte nicht mit ihnen sprechen. Meine Mutter saugte in den öffentlichen Bereichen des Hauses jeden Tag Staub, und sie bearbeitete die Teppichstellen, die schwarz von übermäßiger Benutzung waren, ebenso gründlich wie die Ecken, in denen das weiche Königsblau der Wolle noch erhalten war. Alle zwei Wochen wusch sie Wände und Fußleisten ab. Nur wenige Leute kamen jemals die zwei Treppen herauf, um unseren makellosen Absatz zu bewundern. Wenn wir doch Besuch bekamen, war er meist nicht von gesellschaftlicher Art. Es waren Leute von der Gesundheitsbehörde oder der Schulaufsicht: ein Arzt und gelegentlich auch ein Bobby, neu in diesem Revier, der mich während der Unterrichtszeit im Stadtzentrum gesehen und wegen Schulschwänzens aufgegriffen hatte.
Die Schule war für mich ein kleines Zimmer mit einem schmalen Milchglasfenster, einem Bett und einem Schreibtisch, an dem ich las und schrieb, kritisierte, verglich und übersetzte, konjugierte und auswendig lernte. Theoretisch war dieses Zimmer auch mein Schlafzimmer, aber meistens teilte ich das Bett mit meiner Mutter, die der Auffassung war, es sei nicht gut für mich, da zu schlafen, wo ich lernte. Wenn beides im selben Raum getan wurde, glaubte sie, würden die einander entgegengesetzten Erfordernisse des Schlafens und des Arbeitens einander durchdringen, bis sie beide beeinträchtigt wären.
Das war einer der vielen Grundsätze, die meine Kindheit geformt haben. Meine körperliche Nahrung beobachtete sie mit der gleichen Strenge wie meine geistige. Zu viel Essen, sagte sie, mache den Organismus langsam und führe dazu, dass man durch den Körper lebte, nicht durch den Geist.
» Wir stehen über diesem Unfug von Fleisch und Blut«, sagte sie oft. »Unser Ziel ist es, ganz und gar durch den Geist zu leben. Nur schwache und dumme Menschen leben durch ihren Körper. Wir sind alldem überlegen. Wir sind Gehirnmenschen . Der Körper besteht aus Sex und Scheiße, Geburt und Schleim. Was kann denn dabei Gutes herauskommen?«
Eitelkeit ertrug sie nicht. Wir hatten keinen Spiegel. Kleider kamen aus dem Wohltätigkeitsladen, und ungefähr alle sechs Wochen säbelte sie mir das Haar in Kinnhöhe ab und verpasste mir den gleichen groben Pagenschnitt, den sie selbst trug. Allerdings war meiner gleichmäßig mattschwarz, während ihrer von silbernen Fäden durchzogen war. Bei meinen Ausflügen in die Stadtmitte von Saxby hatte ich genug gesehen, um zu wissen, dass ich anders aussah als andere Kinder meines Alters. Ich hatte zwar keinen Sinn für modische Feinheiten, aber mir war klar, dass ein Aspekt meines Äußeren sich ändern musste.
» Kann ich bitte Zahnspangen bekommen?«, bettelte ich, als ich in ein Schaufenster geblickt und ein Bengel in einem Secondhandpullover mir mit vorstehenden Zähnen entgegengeblinzelt hatte.
» Deine Zähne sind völlig gesund.«
» Andere Kinder in meinem Alter tragen Zahnspangen.«
» Andere Kinder in deinem Alter ziehen sich auch wie Gangster oder Prostituierte an. Sie haben kein Problem damit, als wandelnde Reklametafeln für Sportbekleidung herumzulaufen und Junkfood zu essen, bis ihnen die Speckrollen über die Jeans quellen. Es ist so wichtig, dass du dich jetzt nicht über dein Aussehen definierst. Nicht, solange dein Charakter noch nicht ausgebildet ist. Jemand, der
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