Das Böse, das im Herzen schläft: Thriller (German Edition)
dir vor! Du wirst auf diese Uniform doppelt so stolz sein wie die anderen Kinder. Für die Leute in der Stadt bedeutet sie Privileg, Geburtsrecht und Reichtum. Und für die anderen Schüler und die Lehrer wirst du ein begabtes Kind sein, eins, das aufgrund seiner Verdienste in diesen Gängen wandelt, nicht einfach wegen ererbten Reichtums. Und wir werden wissen«, mit einer kreisförmigen Handbewegung umschloss sie uns alle drei, » dass du wieder zu den Leuten gehörst, von denen du gekommen bist, zu einer intellektuellen Elite.«
Es war raffiniert, dass meine Mutter mir die Geschichte meiner Geburt erzählte, bevor ich alt genug war, um sie zu verstehen. Als schließlich der Subtext zu mir durchsickern konnte, hatte mein Unterbewusstsein sie schon jahrelang assimiliert, und meine Bestürzung war nicht mehr so groß, wie sie es gewesen wäre, wenn das alles eine Neuigkeit für mich gewesen wäre. Ich nahm mir vor, die Angelegenheit vor ihr nie direkt anzusprechen, und zwang mich, auch nicht weiter darüber nachzudenken. Wenn ich sie nur tief genug einsperrte, würde kein Passwort sie wieder freigeben können, da war ich sicher.
Das Anwesen hinter den lorbeerbewachsenen Zaungittern war vertraut, aber die Perspektive war es nicht. Mir war, als sei ich in ein berühmtes Gemälde hineingetreten. Die Eingangshalle des Gebäudes wurde von zwei Treppen beherrscht, geschwungen wie die Flügel eines riesigen Engels, der sich zum Fliegen oder zu einer Umarmung anschickte. An der Holztäfelung der Wände standen in vergoldeten Lettern die Namen der Jungen– und seit Mitte der Achtzigerjahre auch der Mädchen–, die Captain in einer Sportmannschaft oder Vorstand in einem Wohnheim gewesen waren. Ich blieb für einen Augenblick stehen und sah mich vor mir, wie ich diese Treppen hinauflief, ein Buch unter dem Arm, nicht in meinem Zeug, sondern in der eleganten flaschengrünen Schuluniform der Cath. Ich gestattete mir, meinen Namen an die Wand gemalt zu sehen. Mannschaftskapitän? Hausvorstand? Vertrauensschüler? Unvertraut mit den Hierarchien des Erfolgs wusste ich nicht, welche Ehre die größte wäre. Ich spürte, wie Kenneth neben mir unruhig wurde.
Ein langer Korridor wurde unterteilt durch Fenster aus geriffeltem Glas, die vom Boden bis zur Decke reichten und Vierecke aus Licht auf den Parkettboden warfen. Auf den Sitzbänken an der Wand saßen ungefähr fünfzehn andere Kandidaten. War das die Summe meiner Konkurrenz? Nach allem, was ich wusste, befragten sie eine Woche lang jeden Tag so viele Kinder. Ich war der Einzige ohne makellose Schuluniform, und die meisten hatten beide Eltern mitgebracht. Viele hatten auch Musikinstrumente dabei, und sofort sah ich mich im Nachteil, denn Musik war das eine Fach, in dem meine Mutter und Kenneth mich nicht unterrichten konnten.
Die Eltern tauschten Gerüchte über die verschiedenen Stipendien aus und redeten vom » Parcours«. Den Gesprächen, die über meinen Kopf hinweg stattfanden, entnahm ich, dass die meisten sich mit ihren Kindern um verschiedene Stipendien überall im Land bewarben. Sie redeten von Winchester, Roedean, Marlborough, Wellington, Benenden: Schulen, die sich, wie ich wusste, quer über ganz England verteilten. Ich staunte, nicht so sehr über das Engagement der Eltern– ein Wort, das ebenso vertraut wie Zuneigung und mit dieser auch untrennbar verbunden war–, sondern über die Vorstellung, dass sie bereit waren, ihre Kinder so weit weg zu schicken, um sie zur Schule gehen zu lassen. Meine Mutter hatte mir immer wieder gesagt, für mich komme nur Saxby infrage, sonst gar nichts. Sie könne es nicht ertragen, mich während des Trimesters zu verlieren. Ein Umzug war da außerhalb jeder Vorstellung; sie konnte das Haus nicht einmal verlassen, um Lebensmittel einzukaufen.
Eine Sechstklässlerin, selbst Gewinnerin des Stipendiums, führte uns in der Schule herum, bevor das Auswahlverfahren begann.
» Hier legen wir die Prüfungen ab«, sagte sie mit dramatischem Schaudern, als wir die weitläufige Große Halle mit ihren Porträts und Büsten betraten.
Ich war einer der Ersten, die zum Gespräch hineingerufen wurden. Man führte mich durch eine Flügeltür in einen Raum mit noch mehr Holztäfelungen, dunkelroten Teppichen und einem breiten Schreibtisch mit zwei Männern in langen schwarzen Talaren und einer ältlichen Frau mit einem marineblauen Pillbox-Hut.
» Willkommen in unserer Schule, Darcy«, sagte der blonde Mann in der Mitte. » Ich bin Rowan
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