Das Böse im Blut: Roman (German Edition)
stieß einen langen Seufzer aus und schloss die Augen. Edward ergriff ihre Hand und hob sie an seine Lippen und hielt sie dort.
»He, Partner«, sagte Spooner, verwirrt und unsicher, ob er das lustig finden sollte. »Was geht hier vor, zum Teufel?«
Edward sagte nichts und sah ihn auch nicht an.
Spooner betrachtete ihn einen Moment lang und sagte dann: »He, Eddie«, in einem anderen Ton. Edward ließ den Blick auf die Frau gerichtet, hielt ihre Hand an seine Lippen gedrückt. Nach einer Weile ging Spooner fort.
Etwas später öffnete das Mädchen wieder die Augen und sah ihn an, und ihre Hand drückte gegen seinen Mund mit nicht mehr Kraft als der eines jungen Vogels. Sie versuchte zu sprechen, brachte aber nur ein leises Krächzen hervor. Ihr Atem ging schwer. Sie schob ihre schwärzliche Zunge über ihre Lippen und versuchte es wieder. »Was … haben sie … mit dir … gemacht.« Ihre Augen wurden feucht, und Tränen zogen dünne blasse Spuren über die Seiten ihres Gesichts.
Seine Kehle fühlte sich an, als würgte ihn jemand. Ihr Gesicht verschwamm, und er wischte sich die Tränen aus den Augen. Seine Hand umfasste ihre Hand noch fester, doch er lockerte sofort seinen Griff aus Angst, er könnte ihre Knochen zerbrechen.
»Ward«, krächzte sie. »Ward.« Ihre Finger übten kaum spürbaren Druck auf seine Lippen aus, dann schlossen sich ihre Augen wieder.
Er beobachtete das Heben und Senken ihrer Brüste, und für den Rest seines Lebens würde er sich nicht erinnern, was er in diesem Moment gedacht hatte, oder ob er überhaupt etwas gedacht hatte. Der Himmel brannte im Westen mit den Überresten des Tages. Zwei Compañeros kamen und trugen das andere Mädchen fort. Dominguez erschien im Zwielicht und setzte sich wortlos neben ihn. Nach einer Weile stand er auf und ging weg.
Dunkelheit senkte sich über das Land. Er wurde sich undeutlich eines Lagerfeuers in der Nähe des Leitwagens bewusst und der Bewegungen von Schatten und Silhouetten. Er roch Essen und hörte leise Stimmen und den verhaltenen Gesang eines Compañero. Dann ertönten wieder Schreie von Frauen, die meisten klangen jetzt eher lustvoll als schmerzlich.
Er fragte sich, ob sie noch einmal die Augen öffnen würde. Er konnte es im Dunkeln nicht sehen und überlegte, ob er eine Fackel holen und sie in den Sand neben ihr stecken sollte, damit er ihr Gesicht sehen konnte, entschied sich dann aber dagegen, weil er nicht eine Sekunde von ihr getrennt sein wollte, solange sie noch lebte. Noch wollte er, dass irgendjemand anders sie betrachtete. Weil er jetzt nicht sehen konnte, ob sie atmete, legte er seine Finger auf ihre geöffneten Lippen und spürte dort ihren unbestimmten warmen Atem. Er merkte, wie er schwächer wurde, bis er ihn beinahe überhaupt nicht mehr spürte. Dann war er weg, aber er hielt noch eine Weile länger seine Finger auf ihren Lippen, bis er fühlte, wie sie kühler wurden, und da wusste er, dass sie tot war.
Beim ersten Licht zog er sein Hemd aus und bedeckte ihre Blöße, ging dann zum Wagen und fand dort eine Schaufel, mit der er ihr Grab am Fuß einer sandigen Anhöhe etwa fünfzig Yards entfernt aushob. Fredo und Spooner kamen, um zu fragen, ob sie helfen konnten, doch weder antwortete er ihnen, noch sah er sie an, und sie zogen sich zurück. Als das Loch tief genug war, um den Aasfressern zu trotzen, brannte der Himmel rot über der fernen östlichen Bergkette. Er ging zum Wagen und hob sie auf und hielt ihre magere Gestalt behutsam an sich gedrückt und atmete tief ihre ganze sterbliche Wahrheit ein. Dann trug er sie zum Grab, legte sie hinein und begrub sie. Danach machte er sich auf die Suche nach großen Steinen, und als er das Grab mit ihnen bedeckt hatte, war er fertig.
Er hatte sich überlegt, sich bei den Huren zu erkundigen, was sie über sie wussten, wo sie gewesen war, was sie getan hatte und worüber sie gesprochen hatte, beschloss dann aber, dass das Wahnsinn wäre. Er hatte alles gesehen, was es zu wissen gab, es im sterbenden Licht des Vortages gesehen, es gesehen und gerochen und gespürt unter seinen Fingern und es bei diesem Sonnenaufgang begraben. Was gab es noch zu wissen, das eine Rolle spielen könnte?
Die Huren standen um die qualmenden Überreste des Lagerfeuers herum, wieder bekleidet und die Arme gegen die Morgenkälte verschränkt, und beobachteten, wie die Compañeros die Wagenmaultiere ihrer Herde zufügten. Ein paar Mädchen fragten, wie sie denn ohne Maultiere jemals hier wegkommen
Weitere Kostenlose Bücher