Das Böse in dir
nicht verkraftete. Doch das war, bevor ich an Bord kam.«
Der Satz traf mich, als hätte er einen Mauerstein nach mir geworfen. Ich starrte Collins an und achtete darauf, mir nichts anmerken zu lassen. Wieder musste ich daran denken, dass ich auch ein Kind verloren hatte, allerdings nicht wegen eines Sorgerechtsstreits, sondern für immer. Also hatte ich viel Übung darin, diese Erinnerungen zurückzudrängen. Ja, ich hatte sogar eine Wissenschaft daraus gemacht.
Nach einer kurzen Pause fuhr Collins fort. »Sie unterschied sich von den Frauen, für die Mikey sich sonst interessierte, ein paar Jahre älter als er und vielleicht auch lebenserfahrener. Doch es funkte offenbar wirklich zwischen den beiden. Da sie angefangen hatte, Drogen zu nehmen, hatte das Gericht das alleinige Sorgerecht ihrem Exmann und seiner neuen Frau zugesprochen. Sie hatte keinen Kontakt mehr zu dem Kind, machte sich deshalb Vorwürfe, verweigerte die Nahrung und wäre beinahe verhungert, bevor wir sie hier behandelten. Sie gehörte zu den besten Probanden in unserer Klang-Licht-Therapie.« Er musterte mich, bevor er weitersprach. »Wenn ich mich recht entsinne, hieß es in den Nachrichten, dass Ihr kleiner Sohn gestorben ist. Also verstehen Sie sicher, wie so etwas einen Menschen in die Verzweiflung treiben kann.«
Ich erstarrte, bemühte mich aber um eine gleichmütige Miene. Es kommt nicht alle Tage vor, dass mein Gegenüber so mir nichts, dir nichts mein gebrochenes Herz ans Licht zerrt und eine Spitzhacke hineinrammt. Ich spürte, wie Zacharys Geist sich in mein Bewusstsein drängte, und diesmal war ich machtlos dagegen. Ich wollte die nächste Frage nicht stellen. Collins saß einfach nur da, als wisse er, was ich gerade durchmachte. Als habe er das Thema absichtlich angeschnitten, um mir wehzutun.
»Soll das bedeuten, dass Khur-Vays Therapie erfolgreich war?«
»O ja. Sie hat wundervoll darauf angesprochen. Inzwischen führt sie, soweit ich weiß, ein normales und glückliches Leben.«
»Sie kommt mit dem Verlust ihres Kindes zurecht?«
»Ja, jetzt schon seit einem Jahr. Sie ist wie ausgewechselt.«
»Können Sie mir den Ablauf der Therapie erläutern?«
»Nun, wir haben ihr hilfreiche Anregungen gegeben, um die Verzweiflung zu überwinden, weil sie ihre Tochter nicht sehen kann. Wir haben sie ermutigt, sich Fotos von dem Kind anzuschauen und sie sogar im Haus aufzuhängen, ihre Sachen zur Hand zu nehmen und mit Menschen, die verständnisvoll zuhören, über sie zu sprechen. Das fällt den meisten Müttern nämlich sehr schwer. Sie hat sehr gut auf Pete reagiert. Er ist ein sehr empathischer Mensch.«
Beim bloßen Gedanken, Zachs Babysachen zu berühren, breitete sich ein ängstliches Zittern in mir aus, und ich versuchte, es zu unterdrücken, während das Gespräch weiterging. Allerdings mit wenig Erfolg.
Collins war noch mitten im Redefluss. »Im Grunde genommen blieb ihr nichts anderes übrig, als sich mit den Gegebenheiten abzufinden und den Verlust zu akzeptieren. Natürlich haben wir unsere Techniken, um dieses Ziel zu erreichen, ohne jemandem unnötig Leid zuzufügen.« Zu meiner Erleichterung hielt er inne. »Ist Khur-Vay auch in diesen Fall involviert?«
»Ich darf Ihnen leider keine Einzelheiten verraten, Doctor. Nur so viel, dass Mikey die Armbänder, die er an seinem Todestag trug, bei ihr gekauft hat.«
»Meinen Sie die blauweißen Perlen? Mir fiel auf, dass er nach einiger Zeit hier Unmengen dieser Dinger umhatte. Ich glaube, das ganze hat einen kulturellen Hintergrund. Khur-Vay kann Ihnen das sicher erklären. Wissen Sie, wo sie wohnt? Ich glaube, ich habe ihre Adresse, und könnte Ihren Besuch ankündigen.«
Ich fragte mich, warum ihn das alles so interessierte. Fast war es, als wolle er, dass ich mit Khur-Vay sprach. Sehr spannend und auch sehr verdächtig. Andererseits finde ich alles verdächtig, deshalb bin ich ja Detective geworden. »Ich spüre sie schon auf, wenn es nötig wird.«
Collins musterte mich, als sei er plötzlich neugierig geworden. »Ich habe den Eindruck, dass Sie bei diesem Selbstmord einen ungewöhnlich hohen Aufwand treiben. Steckt mehr hinter dem Fall, als ich ahne?«
Als ob ich ihm das unter die Nase gebunden hätte. »Genau das ist ja der springende Punkt, Dr. Collins.«
»Also wieder zurück zur förmlichen Anrede. Aha.«
»Daran hatte sich nie etwas geändert, Doctor.«
»Ich hoffe wirklich, dass ich Sie nicht verärgert habe.«
»Ganz und gar nicht.«
»Gut.«
Eigentlich
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