Das Böse in dir
Damals glaubte er, in sie verliebt zu sein.«
»Das klingt, als sei er Ihrer Ansicht nach nicht in sie verliebt gewesen.«
»Er war davon überzeugt. Das zu verstehen, war für uns wichtig.«
»Kam er freiwillig her?«
»Ich glaube, seine Eltern haben mehr oder weniger darauf bestanden, dass er in die Klinik ging. Sie können ja Dr. Black fragen, ob er aus freien Stücken in seiner Praxis vorgesprochen hat.«
»Danke, das werde ich. Kennen Sie den Namen des Mädchens, das ihm einen Laufpass gegeben hat?«
»Sie hieß Sharon. Ich fühle mich nicht sehr wohl dabei, Ihnen ihren Nachnamen zu nennen.«
»Vielleicht sollten Sie Ihre Gefühle noch einmal überdenken.«
»Richmond. Sharon Richmond.«
Nun, das klang wie ein echter Name, nicht wie ein spontan erfundener, weshalb ich nicht weiter nachhakte. Ich konnte mir ja jederzeit auch eine richterliche Anordnung für die Einsicht in seine Akten beschaffen und mich vergewissern, ob es diese Ms Sharon Richmond wirklich gab. »Haben Sie je mit ihr über Mikeys Probleme gesprochen?«
»Einmal. Am Telefon. Mikey war damit einverstanden, dass ich mit ihr redete, nachdem sie nach Tennessee gezogen war. In eine Kleinstadt namens Dyersburg.«
»Und wie hat sie die Situation beurteilt?«
»Sie meinte, Mikey sei wirklich ein netter Kerl, doch die Chemie zwischen ihnen habe nicht für eine feste Beziehung gereicht. Außerdem wollte sie wieder in der Nähe ihrer Eltern wohnen. Mikey sei dagegen gewesen, dass sie so weit wegzieht.«
»Ich dachte, Sie hätten gesagt, dass sie mit einem Freund von ihm gegangen ist.«
»Genau genommen war sie zuerst mit diesem Freund zusammen. Mikey hat ihr Avancen gemacht, und dann waren sie ein paar Monate lang ein Paar. Später ist sie zu ihrem Exfreund zurückgekehrt. Er stammt auch aus ihrer Heimatstadt. Nach ihrem Umzug hat sie ihn geheiratet. Mikey hat es schwerer genommen, als gut für ihn war. Natürlich fühlte er sich zurückgewiesen.«
»Ich verstehe. Wie hat Ihre Behandlung bei ihm angeschlagen?«
»Gut. Deshalb ist die Sache für alle seine Therapeuten hier auch so ein Schock.«
»Kam er damals mit seiner Familie zurecht?«
Zum ersten Mal zögerte Collins und blickte hinaus auf die Rasenfläche, wo drei Jungen in Shorts und T-Shirts einen Football von NERF hin und her warfen. Einige Mädchen saßen an einem Picknicktisch aus Beton und beobachteten sie dabei. Offenbar warteten sie darauf, dass sie endlich fertig wurden, um mit ihnen zu flirten.
»Haben Sie Mikey Murphys Eltern kennengelernt, Detective?«, erkundigte sich Collins.
»Ja, ich hatte die traurige Pflicht, ihnen die Nachricht von Mikeys Tod zu überbringen.«
»Sicher keine sehr angenehme Aufgabe.«
Ich nickte wortlos.
Collins fuhr fort. »Er stand seinem Dad verhältnismäßig nah. Er und Mary Fern verstanden sich nicht so gut.«
»Ist Ihnen bekannt, dass Dr. Young Michael Murphys Cousin ersten Grades ist?«, fragte ich, weil es mich wunderte, dass er es nicht von selbst angesprochen hatte. Schließlich handelte es sich nicht um ein Staatsgeheimnis.
»Richtig. Ihre Väter sind Brüder.«
»Lebt Dr. Youngs Familie auch hier in der Nähe?«
»Ja. Sie wohnen in Lebanon, Missouri, das ist nur ein Stück die Straße hinauf.«
»Ach, da war ich auch schon mal.« Genauer gesagt hatte ich vor langer Zeit dort eine Prostituierte gespielt, um einen Mädchenhändlerring an einem Rastplatz auffliegen zu lassen. Dabei war ich zufällig ein paar hirnverbrannten Farmerjungen in die Arme gelaufen, die versucht hatten, die Situation auszunutzen. Sie hatten es bitter bereut.
»Wollten seine Eltern deshalb, dass Mikey hier behandelt wird?«
»Wahrscheinlich. Sie sind in Familienangelegenheiten sehr diskret, weil Joseph enge Beziehungen zum Gouverneur pflegt. Die Sache passierte während es letzten Wahlkampfes, weshalb nichts an die Presse oder die Wählerschaft durchsickern durfte.«
»Das wird es jetzt aber, glauben Sie mir.«
»Ja, vermutlich haben Sie recht. Marty sagt, einige Reporter hätten sich bereits mit ihnen in Verbindung gesetzt. Aber Sie wissen ja sicher, wie sich das anfühlt.«
»Und was genau soll das heißen?«
Wieder machte er ein erstauntes Gesicht, als habe er keine Ahnung, dass er gerade mit einem glühenden Schüreisen in den offenen Wunden meines Privatlebens herumstocherte. Zumindest tat er sein Bestes, um diesen Eindruck zu erwecken. Ich wurde den starken Verdacht nicht los, dass er sich jedes Wort zurechtlegte, um mich zu manipulieren oder
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