Das Böse in dir
muss wohl so gewesen sein. Jedenfalls waren alle dieser Ansicht, sonst hätten sie ihn doch wahrscheinlich nicht entlassen. Allerdings habe ich es nicht geglaubt, keine einzige Sekunde lang. Nicht, seit er versucht hat, unser Kätzchen im Pool zu ertränken. Ich war schockiert und so außer mir, dass ich ihm nie wieder über den Weg getraut habe.«
»Sie haben beobachtet, wie er das Kätzchen ertränken wollte?«
»Nun, direkt beobachtet habe ich es nicht. Doch ich habe ihn am Pool herumlungern sehen, kurz bevor die anderen Kinder das Kätzchen paddelnd im Schwimmerbereich gefunden haben.«
»Also haben Sie es nicht mit eigenen Augen gesehen?«
Ach, herrje, so eine Empörung, die sich da in ihren aristokratischen Zügen malte, so ein Entsetzen, weil ich an ihrer Wahrhaftigkeit zweifelte. Sie schnaubte sogar durch die Nase. »Nein, aber ich weiß, dass er es war.«
»Okay.«
»Hoffentlich glauben Sie mir. Sonst tut es ja offenbar niemand.«
Ich beschloss, das Thema zu wechseln. »Gut, Mrs Murphy, dann möchte ich Ihnen jetzt eine Frage stellen. Denken Sie, dass sich Ihr Stiefsohn das Leben genommen hat? Wie ich schon sagte, bin ich nicht sicher, dass es ein Freitod war. Ich habe die Vermutung, er könnte in den Selbstmord getrieben worden sein. Vielleicht hat sogar jemand Hand angelegt.«
Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen, ihre Miene blieb ruhig. »Nein, das habe ich von Anfang an nicht gedacht. Meiner Meinung hat ihn jemand umgebracht, weil er demjenigen etwas Schreckliches angetan hat. Wahrscheinlich einer der Dealer, die er so kannte.«
»Können Sie mir Namen nennen?«
»Nein. Sie hatten alle nur Spitznamen.«
»Erinnern Sie sich an die Spitznamen?«
»Nein. Aber als mir klar wurde, dass er dealte und diese zwielichtigen Gestalten in unser Haus einlud, mein Haus, in dem auch meine anderen Kinder wohnen, habe ich ihn aufgefordert, auszuziehen und sich eine andere Unterkunft zu suchen, um seine schmutzigen Geschäfte abzuwickeln. Ich werde nicht dulden, dass auf meinem Grundstück und vor den Augen meiner Kinder Drogenübergaben stattfinden. Joseph war endlich einmal meiner Ansicht.«
»Es hieß, es sei besser mit ihm geworden, nachdem er seine Pizzeria eröffnet hatte.«
»Ja, besser, allerdings habe ich da meine Zweifel. Wie bereits gesagt, und ich kann es leider nicht anders ausdrücken, habe ich ihm nie über den Weg getraut.«
»Was ist mit seinen Freundinnen? Könnte eine von ihnen ein Mordmotiv haben?«
»Keine Ahnung. Da ich mich geweigert habe, sie kennenzulernen, hat er, nachdem er ausgezogen war, nie eine hierher mitgebracht.«
»Und Sie sind nie einem Mädchen namens Li He begegnet?«
»Nein, nie.«
Ich machte mir einige Notizen, wusste jedoch, dass ich nicht viel mehr von ihr erfahren würde als giftige Tiraden gegen einen jungen Mann, den sie offenbar gehasst hatte wie die Pest. »Haben Sie mir sonst noch etwas mitzuteilen? Etwas, das Sie nicht sagen wollen, wenn Ihr Mann und Ihre Kinder dabei sind?«
»Ich möchte nur noch hinzufügen, dass Mikey nicht ganz normal war. Irgendetwas lief in seinem Kopf nicht rund. Er war häufig depressiv, und dann hatte er wieder diese Wutanfälle, die mich wirklich ängstigten. Und das schlimmste war …«
Sie hielt inne und wirkte zum ersten Mal ziemlich zögerlich. Als ich ihr Gesicht beobachtete, stellte ich fest, dass in ihren Augen widerstreitende Gefühle aufleuchteten wie gegabelte Blitze an einem nächtlichen Himmel. Sie brauchte eine geraume Weile, um zu entscheiden, ob sie sich mir anvertrauen sollte. Aber schließlich sprudelte sie es, den Blick gesenkt und mit leiser Stimme, hervor.
»Es passierte kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag. Joseph war mit Ed auf Wahlkampftour. Es war schon sehr spät, bereits nach Mitternacht, als Mikey endlich zu Hause erschien. Die anderen Kinder schliefen bereits.«
Ich wartete ab. Ich ahnte, dass gleich etwas Schreckliches kommen würde, und war nicht sicher, ob ich es hören wollte. Doch sie sprach weiter, sodass mir nichts anderes übrig blieb.
»Er kam nach oben ins Schlafzimmer und sagte, er wolle mir eine gute Nacht wünschen, nur dass er noch mehr wollte als das. Er hatte viel getrunken und stank nach Alkohol und irgendeiner Droge, die er geraucht hatte.«
Ich zuckte zusammen, denn inzwischen konnte ich mir denken, wie es weiterging. Und ich behielt recht.
»Er ist mir zu nahe getreten, sexuell, meine ich. Und als ich ablehnte, hat er mich aufs Bett gestoßen, sich auf mich
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