Das Böse in dir
Wieder zögerte sie. »Wegen der Sache mit Mikey.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Die ihres Bruders ebenso. Die beiden hatten ihn zweifellos geliebt.
»Das mit eurem Bruder tut mir wirklich leid.«
Da sie schwiegen, fuhr ich fort: »Es ist nicht leicht, in eurem Alter so etwas zu erleben.«
»Stimmt«, bestätigte Mitzi.
»Vielleicht will eure Mom euch ja nur beschützen, weil es euch wehtun könnte, über euren Bruder zu sprechen«, schlug ich vor, obwohl ich es nicht ernst meinte. Mom war so eiskalt wie die Karottennase von Frosty dem Schneemann.
»Kann sein, aber sie ist sehr stark. Sie hat nicht einmal geweint, als sie es uns erzählt hat.«
Es geschahen noch Zeichen und Wunder. Warum überraschte mich das nicht? Meiner Einschätzung nach hatte die Frau noch nie im Leben eine Träne vergossen, außer vielleicht wegen eines abgebrochenen Fingernagels. »Habt ihr mir etwas zu sagen, Mitzi? Etwas, das für den Fall wichtig sein könnte?«
»Ich weiß nicht genau. Aber ich möchte Ihnen helfen herauszufinden, was passiert ist. Daddy glaubt, dass Sie eine sehr gute Polizistin sind und dass Sie den Fall bestimmt im Handumdrehen aufgeklärt haben werden.«
»Seid ihr sicher, dass ihr mit mir reden wollt?«
Die zwei nickten. »Gut, dann setzen wir uns und unterhalten uns kurz, einverstanden?«
Sobald wir saßen, warf ich einen Blick zur Tür, um mich zu vergewissern, dass die Wachmutti nicht hinter mir her war. Die Luft war rein. »Wann habt ihr euren Bruder zuletzt gesehen?«
»An dem Wochenende, bevor er, nun, gestorben ist.«
Das Gespräch strengte sie sehr an, und es wurde nicht besser. Das stand ihnen in die jungen Gesichter geschrieben. Sie hatten noch nicht gelernt, ihre Gefühle zu verbergen. Vielleicht hatte die Eiskönigin ja recht und es war nicht gut, dass sie darüber redeten. »Und wo?«
»In seiner Pizzeria. Wir sind hingefahren, so oft wir konnten, und bei ihm und seiner Freundin abgehangen. Aber Mom wollte nicht, dass wir uns mit ihm trafen. Deshalb mussten wir es heimlich tun. Wir haben nicht richtig gelogen, sondern es ihr nur nicht erzählt.«
»Warum wollte sie das nicht?« Als ob ich das nicht längst gewusst hätte.
Robert ergriff das Wort. »Sie sagte, er hätte viele falsche Entscheidungen gefällt und die Familie unnötig in Verlegenheit gebracht. Aber so schlimm war Mikey gar nicht. Zu uns war er immer supernett. Er hat uns zu Pizza und Cola eingeladen und ist mit uns nach Bagnell Dam gefahren, wo die Videospiele sind.«
»Wie hieß denn seine Freundin?«
»Li He. Sie ist Chinesin und auch total nett.«
Mein Herz machte vor Freude einen Satz. Alles hatte darauf hingedeutet, dass Li He unser Opfer war. Doch nun hatte sich das als Irrtum entpuppt, sodass ich diesen beiden nervösen, trauernden Kindern nicht sagen musste, dass auch sie tot war. Jetzt brauchte ich die Frau nur noch zu finden, was inzwischen ganz oben auf meiner Liste stand.
»Ja, sie ist echt super und sieht außerdem spitze aus. Ziemlich klein, sehr zierlich eben. Sie reicht mir kaum bis zum Kinn. Mikey ist total verliebt in sie, oder er war es, meine ich. Sie wird sehr traurig sein, wenn sie es erfährt. Haben Sie es ihr schon erzählt?«
Ich schüttelte den Kopf und wechselte das Thema. »Ich habe noch nicht mit ihr gesprochen, aber das werde ich noch. Haben sich die beiden gut verstanden.«
»Ja, die waren voll verliebt. Li hat mir gesagt, sie würde ihn eines Tages heiraten, aber er hätte ihr noch keinen Antrag gemacht. Sobald er es täte, würde sie sich ganz schnell einen Pfarrer suchen, bevor er es sich anders überlegt. Ja, das hat uns sehr gefreut, weil wir Angst hatten, dass Mikey nie über Sharon hinwegkommen könnte.« Mitzi lächelte kurz, doch es war rasch wieder verflogen.
Sharon Richmond, wie ich vermutete. »Und wer ist Sharon?«
»Das war seine allererste Freundin. Seine erste wahre Liebe. Sie waren lange zusammen. Nach der Trennung ist sie zurück nach Tennessee und hat was mit einem anderen Typen angefangen. Ich glaube, inzwischen sind sie verheiratet.«
»Wie hieß Sharon mit Nachnamen?«
»Richmond.«
Bis jetzt passte alles. »Wie hieß denn ihr neuer Freund? Erinnert ihr euch?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur noch, dass Mikey sich umbringen wollte, als sie weg ist.« Entsetzt wurde ihr klar, was sie da gerade gesagt hatte.
Geschickt wechselte ich das Thema. »Li He studiert an der Missouri State, richtig?«
»Ja, Ma’am. Sie ist im dritten Jahr.«
»Wo
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