Das Böse in dir

zumindest bis jetzt, geholfen, diese Klippen zu umschiffen.
    Bud warf mir einen Blick zu. »Ach, komm schon, Claire, jetzt werd nicht gleich sauer. Ich mag Nick. Vielleicht bin ich ja nur eifersüchtig, weil du ständig mit ihm zusammengluckst. Früher sind wir zusammen zum Schießstand gegangen und haben danach bei Pizza Hut Käsebrot gegessen und krügeweise Bier getrunken. Und jetzt bin ich einfach weg vom Fenster.«
    »Ich verbringe mehr Zeit mit dir als mit ihm. Das kommt dir nur so vor und liegt daran, dass die Zeit mit mir vergeht wie im Fluge, weil ich so pflegeleicht bin.«
    Diese Bemerkung brachte mir höhnisches Gelächter ein. »Ja, schon gut. Aber da du gut schießt und mich nach dem Schlangenbiss rechtzeitig ins Krankenhaus gebracht hast, schaffe ich dich besser nicht ab.«
    Das Missouri State Capitol steht hoch am Ufer des Missouri River und ist mehr oder weniger eine Kopie des Kapitols in Washington, nur in einem kleineren Maßstab. Viele Treppen, viele Touristen mit klickenden Digitalkameras, viele Schüler auf Klassenfahrt und viele wichtigtuerisch herumstolzierende Leute. Letztere sind am schwersten zu ertragen.
    »Mist, das sind ja mindestens hundert Stufen«, schimpfte Bud. »Lass uns einen Eingang im Erdgeschoss suchen.«
    Ich stimmte zu, da ich keine große Lust hatte, den Mount Everest oder seinen steinernen Bruder zu erklimmen. Also schlenderten wir zu der einen Seite der gewaltigen Treppe und bewunderten die hohen Bäume, die grünen Rasenflächen und die von blühenden Ringelblumen und violetten und roten Petunien strotzenden Blumenbeete. Schließlich entdeckten wir einen Eingang ohne Stufen, vor dem es nur so von Verwaltungsangestellten wimmelte. Die meisten waren Frauen, alle in schwarzen Kostümen, weißen Blusen und Schuhen mit Block­absätzen. Offenbar gab es in diesem Bundesstaat ein Gesetz, das dezente Bekleidung vorschrieb. Außerdem hatten sie offenbar Erfahrung mit der hohen Treppe vor dem Gebäude und mieden sie wie der Teufel das Weihwasser.
    Drinnen zeigten wir einem Wachmann unsere Dienstmarken und fragten nach dem Weg zum Büro des Gouverneurs. Der Mann war jung und gepflegt und kam, wenn mich nicht alles täuschte, direkt von der Polizeischule der Highway Patrol.
    Er erklärte uns, wo wir hinmussten. »Sie können es nicht verfehlen«, fügte er aufmunternd hinzu.
    »Kennen Sie einen Mann namens Joseph Murphy?«
    »Ja, Ma’am.«
    Wenn du erreichen willst, dass ich mich alt fühle, hast du es hiermit geschafft, mein Junge. Ich hielt Ausschau nach Flaum an seinem Kinn. »Hat sich Mr Murphy heute bei Ihnen angemeldet?«
    »Ja, Ma’am. Vor etwa einer Stunde.«
    »Okay, vielen Dank.«
    »Haben Sie hier einen Aufzug, Mann?«, fragte Bud. Er war kein Freund von überflüssiger körperlicher Ertüchtigung, auch wenn er anderthalb Kilometer in fünf Minuten laufen konnte, wenn es sein musste. Zum Beispiel, als er von einem Spinner mit einem Hackebeil verfolgt worden war. Lachen Sie nicht. So etwas kann vorkommen. Ich werde unter derartigen Umständen ebenfalls schneller.
    Der lächelnde junge Mann wies uns den Weg zum Aufzug, wo wir mit weiteren in schwarze Kostüme gewandeten Frauen, die wie Sekretärinnen aussahen, nach oben fuhren. Allerdings wiesen ihre Namensschilder sie als Verwaltungsassistentinnen aus. Offenbar war das Wort »Sekretärin« in Jefferson City nicht mehr in Mode. Die meisten hatten identische Styroporbecher von Starbucks in der Hand, und der Duft nach Milchkaffee mit Vanillearoma ließ mir das Wasser im Munde zusammenlaufen. Ich musste mich beherrschen, um nicht nach dem nächstbesten Becher zu greifen, meine Polizeimarke zu zücken und den Inhalt hinunterzustürzen, bevor ihn mir jemand entreißen konnte. Offenbar litt ich an Koffein-Entzug.
    »Ich habe Hunger«, sagte Bud, als wir in den beeindruckenden mit Marmor ausgekleideten Flur hinaustraten.
    »Vielleicht können wir ja ein Doughnut von dem Typen schnorren«, erwiderte ich. Dabei beobachtete ich die um uns herumwimmelnden Menschen, die alle sehr schnell und zielstrebig irgendwohin unterwegs zu sein schienen. Alle trugen eine bemüht selbstgewisse Miene zur Schau und nahmen sich offenbar ausgesprochen wichtig. In Großbuchstaben. Noch mehr Klon-Assistentinnen, die zumindest freundlich grüßten, und dazu viele Männer, die entweder einen gehetzten oder einen blasierten Eindruck machten. Manchmal auch beides gleichzeitig. Das waren vermutlich die Abgeordneten selbst, auch wenn ich ein paar aus meinem