Das Böse in dir
erreichten, tippte sie mit dem Zeigefinger einen Code ein und begleitete uns hinein. Es war totenstill hier. An den meisten Türen hingen große und wirklich nicht zu übersehende Schilder mit der Aufschrift SITZUNG: BITTE NICHT STÖREN!!!
»Hier wären wir. Dr. Youngs Büro«, verkündete Möchtegerndetective Macy. Ich hatte die neue Serie bei NBC schon deutlich vor Augen: Cagney und Macy, Die späten Jahre.
»Danke, Ma’am«, sagte Bud. »Wir freuen uns schon darauf, Sie eines Tages in unseren Reihen begrüßen zu können.«
»Ach, was sind Sie doch für ein kleiner Schmeichler.«
Nun, der kleine Schmeichler hatte diesmal ein wenig länger gebraucht, um sie dazu zu bringen, dass sie ihm aus der Hand fraß. Doch zumindest war sein guter Ruf wiederhergestellt, denn es würde nie jemandem gelingen, seinen Rekord bei der Damenwelt zu brechen.
»Sie sollten der Held in dem Buch sein, das ich gerade lese«, meinte Mrs Macy, die inzwischen wirklich aus ihrem Schneckenhaus kam.
Als Bud grinste, gab Mrs Macy tatsächlich ein leises, trillerndes Kichern von sich. Ich bin sicher, dass dieses Geräusch in ihrem Indianerroman als Zwitschern bezeichnet wurde. Ach, herrje, Buds Charme ist wirklich sein Gewicht in Gold wert. Debbie Winters musste auf der Hut sein, denn die achtzigjährige Konkurrenz war durchaus ernst zu nehmen.
Dr. Youngs Büro erinnerte an eine Studie in gepflegter Unordnung. Es sah aus, als hätte er in der Bibliothek einer psychiatrischen Klinik einen staubigen Wälzer mit einer Daguerreotypie ausgegraben, auf der Sigmund Freud, umgeben von Bücherregalen, an seinem Schreibtisch sitzt. Als ich Ausschau noch dem obligatorischen Porträt des Vaters der modernen Psychiatrie hielt, entdeckte ich es auf einem Regal neben der Tür. Offenbar handelte es sich um eine Voraussetzung, wenn man seinen Abschluss als Psychiater machen wollte. Ganz zu schweigen von den Rorschach-Bildern. Allerdings war keines davon in Sicht. Offenbar war Young kein Anhänger der guten alten Tintenklecks-Therapie.
Nachdem Mrs Macy mit einem letzten Lächeln in Richtung Bud verschwunden war, sah er mich an. »Ich weiß nicht, wie es bei dir ist, aber ich habe das kaum zu unterdrückende Bedürfnis, mich auf diese Couch sinken zu lassen und dir meine Lebensgeschichte zu erzählen«, sagte er.
»Die Mühe kannst du dir sparen. Ich habe sie bereits gehört. Zwei Mal.«
Grinsend versenkte Bud seine hünenhafte Gestalt stattdessen in einem großen braunen Ledersessel vor dem auf Hochglanz polierten Schreibtisch. Gegenüber stand eine Couch mit einem Bezug aus beigem und braunem Chenille. Ich suchte mir einen Platz, von dem aus ich das Fenster gut im Blick hatte. Plötzlich strömten Gruppen junger Leute aus dem Gebäude neben uns. Sie lachten und redeten durcheinander wie ganz normale Jugendliche und waren schätzungsweise zwischen zwölf und zwanzig Jahren alt.
Ich stand auf und streckte die Arme aus, um meinen Nacken zu entspannen. »Ob Dr. Young wohl jedes Wort seiner Patienten auf Video aufnimmt? Ich glaube, Black tut das.«
»Ja, vielleicht können wir uns für diese Bänder ja einen richterlichen Beschluss besorgen und Mikey dabei ertappen, wie er beschreibt, dass er Phantasien davon hat, Mädchen in den Ofen zu stecken.«
Ich hatte den Verdacht, dass Young lieber in Buds tiefem gemütlichem Sessel saß als auf seinem Schreibtischstuhl. Und wahrscheinlich forderte er seine Patienten auf, in den beiden Sesseln direkt vor ihm Platz zu nehmen. Laut Black, eindeutig ein Fachmann in diesen Dingen, mussten die Patienten sich heutzutage nicht mehr auf eine Couch legen. Offenbar war es aus der Mode gekommen oder in zu vielen schlechten Filmen verrissen worden. Ich ging durch das Zimmer zu dem bis zur Decke reichenden Bücherregal an der Wand gegenüber der Couch. Es quoll über von Büchen, die in allen erdenklichen Winkeln in die Regale gestapelt waren. Hier und da hingen auch ein paar gerahmte Bilder. Außerdem gab es jede Menge Zeitschriften wie Psychology Today.
Langsam fuhr ich mit den Fingerspitzen die Buchrücken in Sitzhöhe entlang, die auf die beige gestreifte Couch zeigten. Ich brauchte nicht lange, um das falsche, halb versteckt hinter einem Philodendron aus Seide, zu finden, holte es vorsichtig heraus, klappte das Scharnier auf und entdeckte darin ein Schätzchen von einem kleinen digitalen Camcorder. Da das kleine rote Lämpchen nicht blinkte, waren wir nicht aufgenommen worden. Allerdings hatte Martin Young auch nicht
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