Das Böse in dir
sich, Detectives.«
Gereizt traf den Nagel auf den Kopf. Ich benutze diesen Ausdruck zwar nicht häufig, doch im Augenblick beschrieb er meine Stimmung recht gut. Bud und ich nahmen wieder unsere Plätze ein und beobachteten, wie der Doc den Schreibtisch umrundete. Dabei warf er, wie mir auffiel, einen kurzen Blick auf meine Schuhe, vermutlich um Ausschau nach kürzlich gebundenen Schnürsenkeln zu halten. Zum Glück trug ich meine schwarz-orangefarbenen Basketballstiefel von Nike, weshalb die Schnürsenkelgeschichte glaubhaft klang.
»Möchten Sie eine Cola? Kaffee? Sonst etwas?«
»Nein, danke«, erwiderte ich. »Ich trinke nicht.«
Anstatt meine komödiantische Ader gebührend zu würdigen, ging Dr. Young zu einem kleinen, in einem niedrigen Schrank aus Eichenholz verborgenen Kühlschrank und holte eine Dose Cherry Coke für Bud und eine Flasche Ozarka-Wasser, die beliebteste Marke in den Ozarks, für sich selbst heraus. »Sind Sie sicher?«, fragte er mich.
»Haben Sie einen heißen Kakao da?«
»Ich fürchte nicht, Detective. Falls Sie wirklich so frieren, kann ich Ihnen einen Pullover von mir leihen.«
Ein Schicksal, schlimmer als der Tod. Ich stehe nun wirklich nicht auf Rautenmuster im Stil der Vierziger. Also wies ich den Pullover zurück, überlegte es mir jedoch anders und nahm die Wasserflasche an. Während er sie zutage förderte, vergewisserte ich mich, dass sich niemand an Buds Coke zu schaffen gemacht hatte. Ich misstraute diesem Kerl bereits, obwohl ich ihn erst seit wenigen Minuten kannte. Natürlich ging es mir bei den meisten Leuten so. Nachdem der gute Doktor Bud die Cola und mir das Wasser gereicht hatte, setzte er sich hinter seinen Schreibtisch. Bud riss die Dose auf. »Also gut, was kann ich für Sie tun, Officers?«
»Soweit uns bekannt ist, haben Sie einen Patienten namens Michael Murphy behandelt.«
»Das stimmt. Steckt er in irgendwelchen Schwierigkeiten?«
Ja, das konnte man laut sagen. »Ja, Sir, er wurde gestern Abend erhängt an einem Brückenpfeiler aufgefunden. Er ist tot. Offenbar Selbstmord.«
Kurz verschluckte er sich an seinem naturbelassenen Ozarka-Wasser. »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
Das klang nicht unbedingt nach Psycho-Jargon. Aber schließlich hatten wir ihn gerade mit einer Tsunamiwelle überrannt. Zumindest machte es den Anschein.
»Ich fürchte, über derartige Dinge scherzen wir nicht. Tut mir leid, dass ich Ihnen diese schlechte Nachricht überbringen muss.«
Dr. Young stand auf und straffte die Schultern, als müsse er um Fassung ringen. Er kehrte uns den Rücken zu, starrte hinaus auf den Rasen und wandte sich nach einer Weile wieder um. »Ich kann Ihnen bestätigen, dass ich ihn behandelt habe«, meinte er. »Doch leider darf ich nicht weiter ins Detail gehen. Sicher ist Ihnen klar, dass mir das wegen des Patientengeheimnisses rechtlich nicht möglich ist.«
»Ihr Patient ist tot, Doctor, und liegt gerade bei uns im Leichenschauhaus. Vielleicht ist er ermordet worden, und womöglich hat er sogar selbst einen Mord begangen. Wir brauchen Ihre Hilfe, um das herauszufinden.«
»Was soll das heißen, er könnte einen Mord begangen haben?«
»Es gibt ein zweites Opfer, eine Frau, die bis jetzt noch nicht identifiziert werden konnte. Wir hoffen, dass Sie sie vielleicht kennen. Ihre Familie muss verständigt werden.«
»Gehen Sie ernsthaft davon aus, dass Mikey diese Frau getötet hat?«
»Ja, sehr ernsthaft. Allerdings sind wir noch nicht sicher. Ich halte es jedoch für denkbar. Aber wir stehen noch ganz am Anfang unserer Ermittlungen. Deshalb sind wir auf Ihre Mitarbeit dringend angewiesen. Michael Murphy ist tot, was Sie von der Pflicht befreit, das Patientengeheimnis zu wahren. Sollten Sie sich dennoch weigern, werden wir uns eine richterliche Anordnung besorgen, um Ihre Patientenkartei zu beschlagnahmen. Das heißt, Sie müssen sie uns so oder so übergeben. Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen, Doctor.«
»Tut mir leid, ich würde gerne helfen, doch ich versuche, die Privatsphäre meiner Patienten so lange wie möglich zu schützen. Vielleicht möchte seine Familie nicht, dass seine persönlichen Daten an die Öffentlichkeit kommen. Haben Sie überhaupt schon mit seiner Familie gesprochen?«
»Ja, die Angehörigen wurden auf dem üblichen Wege verständigt. Wir waren heute Vormittag dort.«
»Wie haben sie es aufgenommen?«
»Natürlich waren die Eltern erschüttert. Zumindest einer von ihnen.«
»Hat Mary Fern gefasst
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