Das Böse in dir
schlagfertige Bemerkung ein, mit der er alle zum Lachen brachte.«
Ich dachte an das bläulich angelaufene Gesicht von Mikey, der einen halben Tag lang mit einem Strick um den Hals in der sengenden Hitze gehangen hatte, und dann an seine Freundin im Ofen. Positiv, klug oder schlagfertig waren nicht unbedingt die ersten Adjektive, die mir dazu einfielen.
»Ich verstehe. Können Sie mir sagen, weshalb er damals behandelt wurde?«
»Ich denke, das geht in Ordnung, schließlich lebt er ja nicht mehr. Oder soll ich den Doctor fragen?« Er warf einen Blick in den Sitzungsraum, wo Dr. Young ein sehr ernstes Psychiatergesicht machte, und beugte sich dann zu mir hinüber. Ein eindringlicher Ausdruck stand in seinen jungen haselnussbraunen Augen. Er senkte die Stimme. »Er hatte nach dem Tod eines Familienmitglieds Selbstmordgedanken. Offen gestanden waren wir alle hier, weil wir auf die eine oder andere Weise an Selbstmord gedacht hatten. Genauso wie die Jugendlichen da drin.« Er zeigte auf den einseitigen Spiegel.
»Oh. Und jetzt geht es Ihnen anscheinend viel besser.« Ich lächelte. Ha, ha, du wirst dich in absehbarer Zukunft nicht mit einem Strick oder einer Kugel ins Jenseits befördern, richtig?
»Ja, mir geht es gut. Danke für die Frage. Ich hatte Schwierigkeiten zu Hause, weil meine Mom einen neuen Mann hatte. Doch inzwischen hat sie ihn endlich in die Wüste geschickt, weil sie dahintergekommen ist, dass er es mit der Nachbarin getrieben und mich verprügelt hat. Ich wünschte, bei allen diesen Jugendlichen lägen die Dinge so einfach.«
»Ich auch. Hat Mikey viel über sein Privatleben gesprochen?«
»Ja, manchmal schon. Das war, als wir das Zimmer geteilt haben. Doch meistens war er ziemlich verschlossen. Er behandelte alles wie einen Scherz und hat seine Trauer mit Gelächter getarnt.«
»Ich verstehe.«
»Und noch etwas: Er ging lieber zu Dr. Collins in die Einzeltherapie. Da die Gruppensitzungen bei Marty Pflicht waren, ging er auch dorthin. Aber mit Boyce verstand er sich ganz besonders gut. Keine Ahnung, warum, aber er mochte ihn lieber als Marty, obwohl die beiden Cousins sind.« Er zuckte leicht ratlos mit den Schultern.
Von diesem anderen Arzt hörte ich zum ersten Mal. »Und wer ist Dr. Collins?«
»Ein neuer Arzt hier. Er kam vor ein paar Jahren, also ist er doch nicht mehr ganz so neu. Und er ist gut. Er hatte viel Erfolg mit den Jugendlichen da draußen.« Er lächelte, als freue er sich darüber.
»Und mit Vornamen heißt er Boyce?«, fragte Bud.
»Ja, Sir.«
»Ist er heute da?«
»Nein, Sir. Er ist mit einem neuen Buch auf Lesereise. Er schreibt über Jugendliche und Gruppentherapie, hält Vorträge überall im Land und und außerdem Signierstunden.«
»Wo ist er jetzt?«
»In Memphis, doch in den nächsten Tagen wird er in Branson erwartet.«
»Glauben Sie, wir können ein Exemplar des Buches bekommen?«
»Na klar. Ich habe eins hier, das ich Ihnen leihen kann. Ich gebe es Ihnen, bevor Sie gehen. Natürlich kriegen Sie es auch bei den großen Buchhandelsketten. Aber ich warne Sie, es ist ziemlich speziell.«
Ja, ich wusste, was er damit meinte, nämlich, dass Black es vielleicht kaufen würde. Doch sonst würde sich kein Mensch, der noch bei Verstand war, durch diesen trockenen Wälzer quälen.
»Was meinen Sie mit speziell?«, erkundigte sich Bud.
»Das habe ich erst auch nicht verstanden, ich musste nachfragen. Es heißt, dass es irgendwie nur gewisse Leute anspricht.«
»Tja, um das zu kapieren, braucht man kein Genie zu sein. Wer liest schon freiwillig Psycho-Fachbücher?«, meinte Bud.
»Glauben Sie, Sie könnten ihn bitten, mich anzurufen?«, schlug ich vor, holte meine Visitenkarte heraus und reichte sie ihm. »Wir müssen so schnell wie möglich einen Termin mit ihm vereinbaren.«
»Klar. Er ist ein unkomplizierter Mensch.«
»Okay, können Sie uns mehr über Michael erzählen? Irgendetwas, das ich nicht gefragt habe, das aber trotzdem wichtig sein könnte?«
Pete überlegte eine Weile und trank einen Schluck von seiner Cola. »Nun, er hatte starke Kopfschmerzen und außerdem Träume. Richtig scheußliche, gruselige Träume.«
Das wurde hier ja von Minute zu Minute freudianischer. Black wäre begeistert gewesen. »Meinen Sie Albträume?« Mit diesem Thema kannte ich mich sehr gut aus. O ja.
»Ja, ich erinnere mich, dass er nachts schreiend aus dem Bett gesprungen ist. Und dann hat er alles ganz schnell beiseitegeschoben und sich entschuldigt.« Offenbar
Weitere Kostenlose Bücher