Das Boese in uns
Bibel.«
»Reden wir über die Beichte, Vater. Verraten Sie mir, was die Beichte für Sie bedeutet?«
Wieder schweift sein Blick zu Jesus über dem Altar. »Meiner Meinung nach ist die Beichte der wichtigste Dienst, den die Kirche dem Gläubigen anzubieten hat. Der wahre Grund dafür, dass die Worte dieses Ungeheuers die Menschen so tief treffen, ist nicht der, dass sie besonders revolutionär wären. Der wahre Grund ist, dass die meisten Menschen mit der Last von Geheimnissen durchs Leben gehen ... Geheimnisse, die uns Tag für Tag zu schaffen machen. Ich habe Gläubige erlebt, die vor Erleichterung geweint haben, nachdem sie eine kleine, lässliche Sünde gebeichtet hatten.«
»Aber die meisten Opfer des Predigers haben schreckliche Dinge getan. Wie steht es damit?«
»Ich habe über die Jahre hinweg eine Reihe grauenvoller Beichten gehört. Ja, es ist wahr ... furchtbare Dinge. Und ich hatte Beichtende, die nicht sonderlich reumütig waren. Doch die große Mehrheit leidet unter der Bürde der bösen Dinge, die sie getan hat. Die meisten Menschen urteilen viel härter über sich selbst, als Sie oder ich es tun würden. Es hat mich nicht hart gemacht, mir Beichten anzuhören, im Gegenteil. Ich glaube an das Gute im Menschen, an seine grundlegende Anständigkeit.«
»Mir fällt es schwer, daran zu glauben, Vater«, sage ich.
»Amen«, murmelt Alan.
Vater Yates lächelt. »Das ist verständlich. Sie verbringen Ihre Zeit mit Menschen, die ohne jede Reue sündigen und, schlimmer noch, die sich an ihren Sünden erfreuen. Aber glauben Sie mir - das weitaus verbreitetere Beispiel ist die Mutter, die ich dazu bringen muss, sich selbst zu verzeihen, weil sie aus Erschöpfung oder Überlastung die Hand gegen ihr Kind erhoben hat. Wir sind nicht ohne Fehler, aber wir sind nicht böse.«
»Hören Sie in den Beichten alles?«, frage ich.
»So gut wie. Manchmal halten die Menschen Dinge zurück. Die Beichte abzunehmen kann man nicht lernen. Es ist eine Kunst. Man muss bei seinen Gemeindemitgliedern Vertrauen gewinnen. Sie müssen sicher sein können, dass sie hinterher nicht anders behandelt werden, nachdem sie ihrem Beichtvater von ihren kleinen Vergehen, ihren fleischlichen Sünden oder Schlimmerem berichtet haben.«
»Sie haben in der langen Zeit schreckliche Dinge gehört, sagten Sie. Wie behandeln Sie diese Personen nach der Beichte? Genauso wie vorher?«
Er zuckt die Schultern. »Ich habe keine andere Antwort als die, die ich bereits gegeben habe«, sagt er. »Es ist meine heilige Pflicht.«
»Das muss manchmal schwierig sein.«
»Es hat schwierige Augenblicke gegeben«, räumt er ein.
»Wie reagieren Sie, wenn Sie etwas erfahren, dass erst noch geschehen wird oder bereits im Gange ist?«, fragt Alan. »Beispielsweise ein Vater, der sein Kind missbraucht. Oder ein Mann, der beichtet, dass er sich bei Prostituierten mit HIV infiziert hat und trotzdem weiterhin mit seiner Frau schläft?«
»In solchen Fällen bete ich, Agent Washington. Ich bete um Kraft. Ich bete, dass das Sakrament der Beichte ausreicht, um diese Person an weiteren Sünden zu hindern. Ja, es ist schwierig. Doch wenn ich wegen der Sünden eines Mannes oder einer Frau das Beichtgeheimnis breche, entziehe ich mich zugleich den Hunderten anständiger Menschen, die mich als Beichtvater benötigen. Sollen Hunderte Unschuldiger für die Sünden eines Einzelnen bezahlen?«
»Und es gibt keine Ausnahmen?«
»Es ist mir gestattet, einen reuigen Sünder zu überreden, dass er sich der Polizei stellt, falls er gegen das Gesetz verstoßen hat. Ich kann ihm sogar die Absolution verweigern, sollte er sich widersetzen, aber ich darf nicht gegen das Beichtgeheimnis verstoßen.«
Alan schüttelt den Kopf. »Ich beneide Sie nicht um Ihre Arbeit, Vater, zumal Sie ein Denker sind, wie ich feststelle. Es muss Ihnen den Schlaf rauben.«
Vater Yates lächelt. »Manchmal reicht allein die Kraft des Glaubens zum Leben. Manchmal reicht das Vorbild der Heiligen Schrift, um sich geistig leiten zu lassen. Ich bewege mich irgendwo dazwischen. Ich habe Krisen ... jeder Priester durchlebt sie. Nonnen ebenfalls. Mutter Teresa hatte die meiste Zeit ihres Lebens tiefe persönliche Zweifel an Gott.«
»Haben Sie echte Veränderungen an Menschen beobachten können?«, frage ich.
»Selbstverständlich. Nicht immer, doch genug, um zufrieden zu sein.«
»Wie geht es normalerweise vonstatten? Bei denen, die sich ändern?«
Er denkt über meine Frage nach, bevor er antwortet.
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