Das Boese in uns
»Reue. Aufrichtige Reue. Es ist eine Sache, eine Sünde zu beichten. Aufrichtige Reue jedoch erfordert eine Veränderung als grundlegenden Bestandteil. Wenn man bereut, ändert man sich. Wenn nicht, dann nicht.«
»Hat Rosemary bereut?«
»Ich denke schon. Ja.«
»Dürfte ich einen Blick in Ihren Beichtstuhl werfen, Vater?«
Er zögert, studiert mich eingehend, doch ich fühle mich nicht unbehaglich unter diesen forschenden Blicken. In seinen Augen ist zu viel Güte.
Er steht auf. »Folgen Sie mir.«
»Ich warte hier«, ruft Alan mir leise hinterher. »Vielleicht bete ich ein wenig. Um genügend Schlaf heute Nacht, zum Beispiel.«
Ich winke ihm halbherzig zu, während ich Vater Yates zum Beichtstuhl folge. Und dann geschehen zwei Dinge gleichzeitig: Das, was ich zu sehen versuche, wird deutlicher, heller; zugleich ist die Stimme in meinem Kopf plötzlich wieder da.
Ich spüre, wie sich auf meiner Stirn kalter Schweiß bildet.
»Machen wir es doch gleich richtig«, sagt Vater Yates, als wir uns dem Beichtstuhl nähern. »Ich nehme meinen normalen Platz ein und Sie den der Sünderin.«
»Warum nicht«, sage ich, doch ich höre meine eigene Stimme kaum. Zu viele Fledermausflügel flattern in meinem Kopf.
Ich öffne die Tür und betrete die winzige Kammer. Es gibt nur wenig Licht hier drin. Die Kammer ist karg und aus dunklem, schlecht lackiertem Holz. Vor dem Gitterschirm, der Priester und Sünder voneinander trennt, steht ein Kniestuhl. Ich schließe die Tür, starre auf den Kniestuhl.
Wenn schon, denn schon, denke ich. Mir ist zum Lachen und zum Weinen gleichzeitig zumute.
Diesmal spricht die Stimme laut zu mir. Sieh mich an.
Hastig knie ich nieder. Aus irgendeinem Grund lässt es die Stimme verstummen.
Vater Yates schiebt das Fenster auf.
»Kleiner als in meiner Erinnerung«, sage ich.
»Ich nehme an, Sie waren bei Ihrer letzten Beichte sehr viel jünger«, entgegnet er belustigt.
»Nun ja ... wie war das noch? Segne mich, Vater, denn ich habe gesündigt. Seit meiner letzten Beichte sind, hmmm ... ungefähr siebenundzwanzig Jahre vergangen.«
»Verstehe. Hast du etwas zu beichten, meine Tochter?«
Ich erstarre. Ich spüre, wie etwas in mir aufsteigt. Es ist wütend, hässlich und bitter.
»War das Ihr Gedanke, als Sie mich draußen so angesehen haben, Vater? Dass Sie mich in den Beichtstuhl locken und dazu bringen, meine Seele auszuschütten, damit ich meinen Glauben wiederfinde?«
»Es würde fürs Erste reichen, wenn du mir deine Seele ausschüttest«, erwidert er ruhig. »Um den Glauben wiederzufinden, ist es noch ein wenig zu früh.«
»Gehen Sie zum Teufel!«
Er seufzt. »Agentin Barrett, Sie sind hier, und ich bin hier, und in diesen engen Wänden sind Sie vollkommen sicher. Sie können toben hier drin, Sie können weinen, Sie können mir alles erzählen, es bleibt zwischen Ihnen, mir und Jesus Christus. Irgendetwas bekümmert Sie, das ist nicht zu übersehen. Warum nicht darüber reden? Sie wollten sich doch ... wie haben Sie gleich gesagt? Sie wollten sich in diese Umgebung versenken. Nun, das ist Ihre Chance.«
»Als ich das letzte Mal einem Mann meine Geheimnisse erzählt habe, Vater, hat dieser Mann versucht, mich umzubringen.« Ich bin überrascht, wie kalt meine Stimme klingt.
»Ja, ich habe davon gelesen. Ich kann Ihre Zweifel verstehen. Aber wenn Sie schon nicht auf Gott vertrauen können, dann vielleicht auf mich. Ich habe noch nie gegen das Beichtgeheimnis verstoßen.«
»Ich glaube Ihnen.«
Ich glaube ihm tatsächlich. Außerdem kann ich nicht abstreiten, dass in dieser Umgebung eine Sehnsucht erwacht, tief und durchdringend. Und genau das ist die Ursache für einen Teil meiner Wut.
Sieh mich an, hatte die Stimme in meinem Kopf gesagt. Das Problem ist nicht, dass ich nicht sehen könnte, was die Stimme von mir verlangt. Das Problem ist im Gegenteil, dass ich niemals aufhören kann, es zu sehen.
Das Bedürfnis, mit jemandem über mein Geheimnis zu sprechen, es mir endlich von der Seele zu reden, die Möglichkeit, dass es mir ein wenig Frieden bringt - ob Gott oder nicht Gott -, verspricht eine solche Erleichterung, dass ich das Gefühl habe, als würde ein Heer von Ameisen über meine Haut krabbeln.
Ich atme ein und aus. Mein Atem geht flach. Mein Herz rast. Meine Hände sind ineinander verschränkt, mehr aus Verzweiflung als im Gebet.
»Ich weiß nicht, ob ich noch an Gott glaube, Vater«, flüstere ich. »Ist es richtig zu beichten, wenn ich mir nicht sicher bin, ob
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