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Das Boese in uns

Das Boese in uns

Titel: Das Boese in uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyen
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Videoclips an die Öffentlichkeit getreten, und ich bin seiner Fährte in die Dunkelheit der katholischen Beichtstühle gefolgt.
    Ich brauche diesen Moment, um geistig einen Schritt zurückzutreten. Um den Wald anzuschauen, nicht die Bäume. Den Mann, den wir jagen.
    Er ist gerissen. Seine Ideen sind nicht neu, doch die Art und Weise, wie er sie verbreitet, lässt Umsicht und eine gewisse Ehrfurcht erkennen. Er verbirgt kein anderes Motiv hinter dem, was er sagt. Er glaubt an seine eigenen Worte. Sie sind es, die ihn vorantreiben.
    Doch was sind das für Worte?
    Letztendlich geht es um Wahrheit und Wahrhaftigkeit, um Lügen und Sünde und ihre religiöse Bedeutung. Er hat nicht den philosophischen Ansatz gewählt, nach dem Wahrhaftigkeit eine allgemein gültige Regel ist. Sein Ansatz dreht sich speziell um die Erlösung nach dem Tod. Was sagt mir das? Er wurde katholisch erzogen.
    Ich nicke mir selbst zu. Ja. Er ist nach katholischen Grundsätzen und Wertvorstellungen erzogen worden, dem Hin und Her von Schuld und Sühne, Sorge und Hoffnung, gemischt mit Selbstverachtung und der Vergebung der Sünden. Er ist mit dem gekreuzigten Christus aufgewachsen und mit der damit verbundenen Dankesschuld.
    Und warum hat er das Bedürfnis, aller Welt davon zu erzählen?
    Weil er meint, dass die Welt nicht zuhört.
    Die Welt? Nein. Da ist die sichtbare Manifestation. Wir haben es hier mit einem Serienkiller zu tun. Mit einem Mann, der einen starken Glauben hat und fest entschlossen ist, seine Botschaft zu verkünden. Ein Mann, der zwanzig Jahre oder mehr damit verbracht hat, nach Frauen mit dunklen Geheimnissen zu suchen, um sie vor laufender Kamera zu töten. Wie man es auch sieht - und was immer das vorgebliche Glaubenssystem sein mag, das um die Tat herum konstruiert wird -, Mord ist und bleibt ein Akt der Wut. Es kann Wut auf die getötete Person sein, ist es aber nicht zwangsläufig. Gerade bei Serienmördern ist es fast immer eine fehlgeleitete Wut. Der Hass auf Mom oder Dad zum Beispiel, die er wieder und wieder und wieder ermordet.
    Irgendjemand oder irgendetwas hat an einem bestimmten Punkt in seinem Leben nicht zugehört. Jemand oder etwas, das ihm nahestand, das ihm wichtig war, das eng verbunden war mit seinem Selbstwertgefühl. Doch er wurde ignoriert, und das hat ihn wütend gemacht, sehr wütend, und jetzt trägt er dafür Sorge, dass seine Botschaft nie wieder einfach so unter den Teppich gekehrt wird.
    Wie lautet seine Botschaft?
    Einfache Worte. Er hat sie auf zahlreiche unterschiedliche Weisen gesagt.
    Lüge nicht vor Gott.
    Doch seine Logik hat einen Fehler, wird mir bewusst. Ein riesiges, klaffendes Loch in seiner Argumentation: Die Menschen, die er umgebracht hat, haben ihre Sünden bereits gebeichtet. Sie haben das getan, was sie seinen Worten zufolge erst noch tun sollten. Sie haben sich im Beichtstuhl hingekniet, haben nach den richtigen Worten gesucht und mit sich gerungen, bis sie den Mut fanden, diese Worte auszusprechen.
    Vielleicht bedenkt er nicht, dass seine Opfer fehlbar waren. Vielleicht waren sie keine Vorbilder für das, was man nicht tun soll, sondern Beispiele für das, was man tun soll. Vielleicht ist es gerade die Tatsache, dass sie bereits gebeichtet und deswegen einen Platz zur Rechten Gottes sicher haben, die ihn ohne Schuldgefühl töten ließ. Vielleicht liefert es ihm die Entschuldigung, die er braucht, um gegen das Gebot »Du sollst nicht töten« zu verstoßen.
    Oder ist das der Punkt, an dem es mit ihm durchgeht? An dem er verrückt wird? Er hat sich selbst eine Kirche aus Gedanken und Ideen errichtet, doch er hat sie auf Mord erbaut, aus den Knochen seiner Opfer.
    Vielleicht ist er trotz seinem Gerede über die Wahrheit derjenige, der am meisten von allen lügt.
    Bei diesem Gedanken muss ich lächeln. Mir gefällt die Vorstellung, dass er sich selbst und seine Prinzipien verrät. Sie gefällt mir sogar sehr.
    Du bist nicht anders als alle anderen. Du bist genau wie die anderen Ungeheuer. Du sprichst nicht mit Gott, du sprichst nicht mit mir... letzten Endes sprichst du mit Leuten, die du einmal gekannt hast, und ganz egal, wie laut du schreist, sie werden dir wahrscheinlich niemals zuhören.
     
    Es ist zehn Uhr. Alle sind zurück in der Todeszentrale und hören zu, als James uns über die Ergebnisse der Telefonaktion informiert.
    »Wir konnten ungefähr neunzig Prozent der Opfer in den letzten fünf Jahren bestimmten Kirchengemeiden zuordnen. Außerhalb dieser Zeitspanne sinkt der

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