Das Boese in uns
zur anderen Straßenseite zu wechseln, wenn er einem nachts entgegenkommt. Sein Aussehen verbirgt, was in ihm steckt: Alan ist ein Denker mit einem großen Herzen und einer Genauigkeit, die an Pedanterie grenzt. Er kann sich tagelang mit Details aufhalten - geduldig, ohne ärgerlich zu werden und ohne nach Abkürzungen zu suchen -, und er kann komplizierte Dinge auseinanderpflücken, bis nur noch einfache, verständliche Sachverhalte übrig sind. Darüber hinaus ist Alan der geschickteste Vernehmungsspezialist, den ich kenne. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er die hartgesottensten Straßenschläger in zitternde, weinerliche, plappernde Wracks verwandelt hat.
Der eindeutigste Hinweis auf Alans Wesen jedoch ist die Tatsache, dass er mit Elaina verheiratet ist und sie unübersehbar und abgöttisch liebt, mit einer Mischung aus Stolz und Staunen. Auch Matt hat mich so geliebt; es ist ein gutes Gefühl, und es verrät viel über den Charakter eines Mannes.
Alan lächelt mich an und tippt sich an einen nicht existierenden Hut.
»Gott sei gepriesen für kleine Gefälligkeiten«, sage ich und grinse.
Die nächste Stimme, die ich höre, trieft vor Missbilligung. »Warum sind wir hier?«
Die Frage kommt vom letzten Mitglied meines Teams. Der Tonfall - unfreundlich und ungeduldig, kalt und direkt - macht mich wütend, wie jedes Mal.
James Giron ist ein Genie, aber so unleidlich, wie ein Mensch nur sein kann. Manchmal, wenn er nicht dabei ist, nennen wir ihn Damien - wie den Sohn des Teufels in Das Omen. Er hat nicht einen Hauch von Umgangsformen, zeigt keinerlei Interesse daran, einem Gegenüber irgendwelche Höflichkeiten zu erweisen, und kennt keine Rücksicht auf die Gefühle anderer. James hat das Konzept der Gedankenlosigkeit in neue Höhen katapultiert.
Er ist ein Buch mit leeren Seiten. Ich weiß nicht, ob er überhaupt ein Privatleben besitzt. Ich habe ihn noch nie über einen Song oder einen Fdm reden hören, der ihm gefallen hat. Ich weiß nicht, welche Fernsehprogramme er sich anschaut, falls überhaupt. Ich weiß nichts von persönlichen Beziehungen. James lässt seine Seele zu Hause, wenn er zur Arbeit erscheint.
Was er mitbringt, ist sein Verstand. James ist ein Genie im wahrsten Sinne des Wortes. Er hat die Highschool mit fünfzehn abgeschlossen, seine Eignungstests mit Auszeichnung absolviert und das College mit einem Doktortitel in Kriminologie verlassen, als er gerade zwanzig war. Mit einundzwanzig kam er zum FBI, was von Anfang an sein Ziel gewesen war.
James hatte eine ältere Schwester, Rosa. Sie wurde von einem Serienkiller ermordet, als James zwölf war. Am Tag ihrer Beerdigung beschloss er, zum FBI zu gehen und den Rest seines Lebens mit der unerbittlichen Jagd auf Psychos zu verbringen wie den, der seine Schwester getötet hatte. Es ist die einzige wirkliche Information, die ich über James besitze - und der einzige Hinweis, dass James Giron menschlich ist.
Meist reiben James und ich uns aneinander. Wir empfinden keinerlei Sympathie für den jeweils anderen; wir sind wie zwei positive Pole, die sich gegenseitig abstoßen. Bis auf eine Ausnahme - James besitzt die gleiche Fähigkeit wie ich: Auch er kann in den wirren Geist menschlicher Bestien blicken, die aus purem Vergnügen morden.
»Weil jemand tot ist und jemand mit der entsprechenden Macht befohlen hat, dass wir den Mord untersuchen sollen«, antworte ich James auf seine Frage, warum wir hier sind.
Er runzelt die Stirn. »Das ist nicht unser Zuständigkeitsbereich. Wir haben hier gar nichts zu suchen.«
Ich blicke zu AD Jones hinüber. Er funkelt James mit einer Mischung aus Resignation und Unglauben an.
»Hör auf zu jammern, Damien«, sagt Callie. »Oder ich lade dich nicht zu meiner Hochzeit ein.«
James schnaubt. »Soll das eine Drohung sein?«
»Offenbar glaubst du, es wäre keine.« Callie grinst. »Aber glaub mir, deine Mama wäre sehr enttäuscht. Sie und ich hatten eine wunderbare Unterhaltung am Telefon. Sie freut sich sehr darauf, endlich die Leute kennenzulernen, mit denen du zusammenarbeitest.«
James starrt sie finster an. »Nenne mich nicht Damien.«
Ich unterdrücke ein Grinsen und gestatte mir ein Gefühl von Zufriedenheit wegen Callies Triumph über James. Ich habe seine Mutter nie kennengelernt, aber ich weiß, dass er jedes Jahr am Geburtstag seiner Schwester mit seiner Mutter zusammen Rosas Grab besucht, also sieht es zumindest so aus, als stünden sie sich nahe.
»Möchtest du uns gleich hier
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