Das Boese in uns
eins ...« Er stockt, zögert, atmet tief ein und aus. »Dann verrate mir doch, was du hierzu sagst: Ich bin schwul.«
Stille erfüllt das Wageninnere. Ich höre die anderen atmen, und ich höre das Geräusch der Heizung.
»Das ist ja ätzend«, sagt Callie und tut so, als äße sie Popcorn aus einer Tüte. »Mach weiter. Hör jetzt bloß nicht auf, Schnuckelchen.«
Ich für meinen Teil bin sprachlos. James und schwul?
Es ist nicht die Enthüllung an sich, die mich schockiert. Es ist vielmehr die Tatsache, dass James überhaupt etwas über sich preisgibt. Es ist einfach zu persönlich. Es ist genauso irritierend, als würde er uns erzählen, was seine Lieblings-Eiskrem ist.
In gewisser Hinsicht bin ich überrascht, wie gut er seine Homosexualität bis jetzt verborgen hat. Wir haben es nicht zum ersten Mal mit Opfern aus der Schwulenszene zu tun. Doch James hat nie die leiseste Andeutung in dieser Richtung gemacht, nicht den kleinsten Hinweis gegeben. Andererseits gilt das auch für Alan.
»Warum erzählst du uns das ausgerechnet jetzt?«, fragt Alan.
»Ich weiß es nicht!«, schnaubt James. »Aber lenk jetzt nicht ab. Beantworte meine Frage!«
Alan mustert James von oben bis unten. Die Andeutung eines Lächelns spielt um seine Mundwinkel. »Na schön, unter diesen Umständen muss ich dir sagen ... also, ich mag dich immer noch nicht.«
Callie prustet los. Es klingt albern.
James' Wut scheint sich ein wenig zu legen. Er starrt Alan in die Augen, sucht nach einem verräterischen Zeichen, dass er die Unwahrheit gesagt haben könnte.
»Und das ist alles, was du dazu zu sagen hast?«, fragt er schließlich.
»Ja. Alles.«
In diesem Moment geschieht etwas Bewegendes. Alan streckt den Arm über den Sitz nach hinten aus und legt James eine mächtige Pranke auf die Schulter. Es ist eine sanfte Geste, beruhigend und beinahe freundlich. Was mich daran schockiert, ist James' Reaktion. Kein Zusammenzucken, kein Abwenden, keine Abwehr. Stattdessen sehe ich etwas anderes, eine Art von ... was?
Erleichterung, wird mir klar. Es ist Erleichterung. Es ist James wichtig, was Alan von ihm denkt.
»Ehrlich, Mann«, sagt Alan erneut, mit einer Stimme, die genauso sanft ist wie die Geste.
Der Moment zieht sich in die Länge. Dann schüttelt James die Hand ab. »Schön«, sagt er und funkelt Callie und mich an. »Ich will nichts mehr darüber hören, okay?«
Ich hebe die Hand und gebe ihm mein großes Pfadfinderehrenwort. Callie nickt, doch gleichzeitig rutscht sie auf dem Sitz von James weg, so weit es geht.
»Was zum Teufel soll das?«, fragt er misstrauisch.
»Keine Sorge, mein Bärchen«, sagt sie. »Ich hab kein Problem damit, dass du schwul bist, ehrlich nicht. Aber ich heirate bald, und ... na ja, es heißt, ihr schwulen Hühner wärt ansteckend. Vorsicht ist besser als Nachsehen.«
Ich hätte beinahe losgeprustet. James starrt Callie grübelnd an, bevor er schließlich seufzt. »Du bist eine Idiotin.«
Erneut spüre ich Erleichterung bei ihm. Callie behandelt ihn genauso wie immer, und dieses Ärgernis ist für James nach seinem »Outing« etwas Tröstendes.
Und was ist mit mir?, frage ich mich. Was erwartet er von mir?
Ich schaue in seine Richtung, doch James starrt wieder aus dem Fenster, als wäre nie etwas gewesen. Er wirkt entspannt.
Mir wird klar, dass er sich keine Gedanken gemacht hat, wie ich reagieren würde. Er wusste, dass ich ihn akzeptieren würde.
Und das gibt mir ein gutes Gefühl.
»Nachdem wir die Beichten jetzt aus den Füßen hätten, könnten wir vielleicht zurück zum Geschäft kommen?«, fragt Callie. »Wir wollen schließlich nicht das Wichtigste vergessen: die Planung meiner Hochzeit.«
»Was hat das Geschäft mit deiner Hochzeit zu tun?«, frage ich sie verwirrt.
Callie verdreht die Augen. »Nun ja, es sieht so aus, als müssten wir zuerst einen Killer schnappen. Also dann - hopp, hopp.«
Ich muss kichern. Callie sorgt sich nicht wirklich um ihre Hochzeit. Es ist ihre Art: Sie lebt, um die Ernsten zu erheitern und die Dunkelheit zu erhellen.
»Fahren wir nach Dulles«, sage ich. »Sie halten das Flugzeug für uns am Boden fest. Wir können unterwegs über alles reden.«
Alan setzt den Wagen in Bewegung, und ich muss daran denken, dass vor allem Bewegung das Leben vom Tod unterscheidet. Leben ist Bewegung. Ständig passiert irgendetwas. Ständig ist man unterwegs. Ständig zwängt man sich durch irgendwelche Lücken, ob der Moment nun geeignet ist oder nicht. Alans unerwarteter
Weitere Kostenlose Bücher