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Das Böse unter der Sonne

Das Böse unter der Sonne

Titel: Das Böse unter der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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nicht», meinte er dann.
    «Was glaubt die Polizei?»
    «Sie haben nicht viel gesagt.»
    Eine Minute später fragte Rosamund: «Dieser kleine Mann – Poirot –, hat er wirklich ein Interesse an dem Fall?»
    «Ich hatte den Eindruck, dass er mit dem Polizeichef sehr befreundet ist.»
    «Ich weiß – aber tut er was?»
    «Wie, zum Teufel, soll ich das wissen, Rosamund?»
    «Er ist schon ziemlich alt», überlegte sie laut. «Wahrscheinlich schon recht senil.»
    «Vielleicht.»
    Sie erreichten den Damm. Gegenüber lag die Insel im Sonnenlicht.
    «Manchmal kommen einem die Dinge so unwirklich vor», sagte Rosamund plötzlich. «Ich kann es immer noch nicht fassen, dass es wahr ist…»
    «Ich glaube, ich weiß, was du meinst», sagte er zögernd. «Die Natur ist rücksichtslos. Eine Ameise weniger – mehr bedeutet es nicht für die Welt.»
    «Ja», antwortete Rosamund. «Und es so zu sehen, ist der einzig richtige Weg.»
    Er warf ihr einen raschen Blick zu. «Mach dir keine Sorgen, mein Liebling. Es ist alles in Ordnung. Es ist alles in Ordnung.»
     
    Linda kam ihnen über den Damm entgegengelaufen. Sie bewegte sich mit der Sprunghaftigkeit eines nervösen Fohlens. Ihr junges Gesicht war durch tiefe dunkle Schatten unter den Augen entstellt. Ihre Lippen waren trocken und aufgesprungen. «Was war los?», fragte sie außer Atem. «Was haben sie gesagt?»
    «Die Sitzung wurde um zwei Wochen vertagt», antwortete ihr Vater knapp.
    «Das heißt, sie haben sich noch nicht entschieden?»
    «O doch. Dass mehr Beweise notwendig sind.»
    «Aber – aber was glauben sie?»
    Marshall musste gegen seinen Willen lächeln. «Ach, mein liebes Kind, wer kann das wissen? Und wen meinst du eigentlich mit ‹sie›? Den Richter, die Jury, die Polizei, die Reporter, die Fischer von Leathercombe?»
    «Ich glaube, ich meine die – die Polizei», erwiderte Linda zögernd.
    «Was die Polizei auch denkt», bemerkte Marshall trocken, «im Augenblick verrät sie es uns nicht.» Er presste die Lippen zusammen und ging ins Hotel.
    Als Rosamund ihm folgen wollte, rief Linda: «Einen Augenblick, Rosamund!»
    Rosamund wandte sich um. Der stumme Hilferuf in dem unglücklichen Gesicht des Mädchens berührte sie. Sie legte den Arm um Linda, und gemeinsam gingen sie den Weg entlang, der vom Hotel weg zum anderen Ende der Insel führte.
    «Nimm es dir doch nicht so zu Herzen, Linda», sagte Rosamund freundlich. «Ich weiß, wie schrecklich es für dich ist und was du für einen Schock erlitten hast, aber es hat keinen Zweck, darüber zu brüten. Und es kann nur das Entsetzen über die Tatsache selbst sein, was dich so mitnimmt. Du hast Arlena nicht gemocht, das weißt du doch.» Sie spürte, wie Linda ein Schauder überlief. «Ja, ich mochte sie nicht besonders…», sagte sie.
    «Trauer um einen Menschen ist etwas anderes», fuhr Rosamund fort. «Die kann man nicht einfach beiseite schieben. Aber Schock und Entsetzen kann man überwinden, indem man sich zwingt, nicht die ganze Zeit daran zu denken.»
    «Sie verstehen mich nicht», rief Linda.
    «O doch, ich verstehe dich, Linda.»
    Linda schüttelte den Kopf. «Nein. Sie begreifen nicht das geringste – und Christine auch nicht. Sie beide waren sehr nett zu mir, aber Sie können nicht nachempfinden, was ich fühle. Sie finden so etwas krankhaft – dass ich nicht darüber hinwegkomme, obwohl es mich doch kalt lassen sollte.» Sie schwieg einen Augenblick. «Aber darum geht es gar nicht. Wenn Sie wüssten, was ich weiß…»
    Rosamund blieb abrupt stehen. Ihr Körper versteifte sich. Langsam nahm sie den Arm von Lindas Schulter. «Auf was spielst du an, Linda? Was weißt du?»
    Das Mädchen blickte sie nur an. Dann schüttelte sie den Kopf und murmelte nur: «Nichts.»
    Rosamund packte sie beim Arm. Ihr Griff schmerzte, und Linda zuckte etwas zusammen.
    «Nimm dich in Acht, Linda!», sagte Rosamund. «Nimm dich verdammt in Acht!».
    Linda war totenbleich geworden. «Ich nehme mich ja in Acht – die ganze Zeit!»
    «Hör zu, Linda», sagte Rosamund eindringlich. «Was ich eben sagte, ist wirklich wichtig. Denk nicht mehr daran! Lass die ganze Sache ruhen! Vergiss alles – vergiss alles… Du kannst es, wenn du willst. Arlena ist tot, und nichts in der Welt kann sie ins Leben zurückholen. Vergiss alles, und denk an die Zukunft! Und vor allem – halt den Mund!»
    Linda wich etwas vor ihr zurück. «Sie – Sie wissen wohl Bescheid?», fragte sie.
    «Ich weiß gar nichts!», erwiderte Rosamund

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