Das Bourne-Attentat
als könnte er jeden Moment eine Waffe ziehen und Arkadin eine Kugel in den Kopf jagen.
Er begann zu reden, doch der siebzehnjährige Arkadin brauchte einige Minuten, bis er in dem, was Kuzin sagte, einen Sinn erkennen konnte. Es war, als würde man einem Ertrinkenden zuhören, der immer wieder unterging. Irgendwann begriff er, dass Kuzin eine enge Zusammenarbeit vorschlug. Er wollte die Hälfte von Arkadins Immobiliengeschäft und bot ihm dafür einen zehnprozentigen Anteil an seinen Aktivitäten.
Und was waren Stas Kuzins Aktivitäten? Niemand sprach offen darüber, doch es kursierten jede Menge Gerüchte. Man brachte alles Mögliche mit ihm in Verbindung – von Menschen- und Drogenhandel über Prostitution bis hin zum Transport von ausgebrannten Kernbrennstäben. Arkadin selbst glaubte, dass der Mann sich auf die Geschäfte beschränkte, von denen er wusste, dass sich damit in Nischni Tagil Geld verdienen ließ, nämlich Prostitution und Drogen. Jeder Mann in der Stadt brauchte gelegentlich Sex, und wenn man Geld hatte, waren Drogen viel besser als Bier oder der Fusel, der einem als Wodka angeboten wurde.
Auch in diesem Fall tat Arkadin nicht das, was er wollte, sondern das, was er musste. Er war so weit gekommen, wie man es allein nur schaffen konnte. Von seinen Einnahmen konnte er hier ganz gut leben, aber es war nicht genug, um nach Moskau zu gehen, wo er unbedingt hinmusste, um die großen Möglichkeiten des Lebens am Schopf zu packen. Er war umringt von den Kreisen der Hölle – von den Schornsteinen, die giftigen Rauch ausspien, und von den Wachtürmen der brutalen Gefängnisse mit ihren Sturmgewehren, den Scheinwerfern und Sirenen.
Er selbst war hier drin mit Stas Kuzin eingesperrt. Arkadin gab die einzig denkbare Antwort. Er sagte Ja und betrat damit die neunte Ebene der Hölle.
Kapitel einunddreißig
Während er in der Schlange vor der Passkontrolle in München stand, rief Bourne Specter an, der ihm versicherte, dass alles bereit sei. Wenige Augenblicke später kam er in Reichweite der ersten Überwachungskameras. Augenblicklich wurde sein Bild von der Software registriert, die in Semjon Ikupows Hauptquartier aktiv war, und noch bevor er sein Gespräch mit dem Professor beendet hatte, war er identifiziert.
Sofort wurde Ikupow angerufen, der wiederum seine Leute in München anwies, in Aktion zu treten. Dies bedeutete, dass auch die Leute vom Flughafenpersonal und der Bundespolizei alarmiert wurden, die für Ikupow arbeiteten. Der Mann, der die ankommenden Passagiere den Schaltern zuwies, an denen die Beamten der Bundespolizei die Einwanderungskontrollen durchführten, empfing auf seinem Computer gerade noch rechtzeitig ein Foto von Bourne, um ihn zu Schalter 3 zu schicken.
Der Beamte an Schalter 3 lauschte der Stimme, die er über das elektronische Gerät in seinem Ohr empfing. Als der Mann, der als Jason Bourne identifiziert worden war, ihm seinen Reisepass vorlegte, stellte ihm der Beamte die üblichen Fragen – »Wie lange wollen Sie in Deutschland bleiben? Ist Ihr Besuch geschäftlich oder privat?« –, während er den Pass durchblätterte. Er schob den geöffneten Pass unter ein summendes violettes Licht und drückte dabei eine kleine Metallscheibe, nicht dicker als ein Fingernagel, ganz hinten auf die Innenseite des Einbands. Dann klappte er den Pass zu und gab ihn Bourne zurück.
»Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in München«, sagte der Mann und wandte sich bereits der nächsten Person in der Schlange zu.
So wie am Flughafen Scheremetjewo hatte Bourne auch hier das Gefühl, dass er beobachtet wurde. Er wechselte zweimal das Taxi, als er das belebte Zentrum der Stadt erreichte. Auf dem Marienplatz, einem großen offenen Platz mit der historischen Mariensäule, ging er an mittelalterlichen Kirchen vorbei und zwischen den vielen Tauben hindurch und tauchte in der Menge der Touristen unter, die, einer Führung folgend, zu den Türmen der Frauenkirche hinaufstarrten, der Kathedrale des Erzbischofs von München und Freising, die gleichzeitig das Wahrzeichen der Stadt ist.
Er mischte sich unter eine Gruppe, die sich vor dem Rathaus versammelt hatte, auf dem das Stadtwappen zu sehen war, das einen Mönch mit ausgebreiteten Händen zeigte. Die Führerin der Reisegruppe erklärte, dass der Name München von dem althochdeutschen Wort »Munich« für »Mönch« stammte. Um das Jahr 1158 ließ Heinrich der Löwe, der Herzog von Sachsen und Bayern, bei dem Dörfchen Munichen,
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