Das Bourne-Attentat
ihnen von Tarkanians Allergie und dass er in diesem Zustand überempfindlich gegen Licht sei. Schließlich stieg er hinten in den Wagen, und einer der Sanitäter schloss die Tür hinter ihm, während der andere den IV- Tropf mit Phenothiazin vorbereitete. Der Wagen fuhr mit heulenden Sirenen los.
Die Tränen liefen Arkadin übers Gesicht, doch er gab keinen Laut von sich. Der Schmerz war kaum auszuhalten, doch schließlich war die Schulter wieder eingerenkt. Er konnte die Finger der linken Hand nur eingeschränkt bewegen. Das Gute war, dass die Taubheit einem eigenartigen Kribbeln wich, so als hätte sich sein Blut in Champagner verwandelt.
Devra hielt den Holzlöffel in der Hand. »Scheiße, du hast ihn fast durchgebissen. Es muss höllisch wehgetan haben.«
Benommen und von Übelkeit überwältigt, verzog Arkadin das Gesicht. »Ich könnte jetzt keinen Bissen herunterbekommen.«
Devra warf den Löffel weg, als sie ins Lokal zurückgingen. Arkadin bezahlte die Rechnung, und sie verließen das Café. Der Regen hatte aufgehört, und die Straßen hatten diesen feuchten Glanz, wie er ihn aus alten amerikanischen Filmen aus den vierziger und fünfziger Jahren kannte.
»Wir können zu mir gehen«, bot Devra an. »Es ist nicht weit von hier.«
Arkadin schüttelte den Kopf. »Lieber nicht.«
Sie gingen eine Weile, scheinbar ziellos, bis sie zu einem kleinen Hotel kamen. Arkadin nahm ein Zimmer. Der Nachtportier sah sie kaum an. Er war nur an ihrem Geld interessiert.
Das Zimmer war schäbig und äußerst spärlich mit einem Bett, einem harten Stuhl und einer Kommode mit nur drei Füßen möbliert, deren vierte Ecke durch einen Stapel Bücher abgestützt wurde. Ein abgelaufener runder Teppich bedeckte die Mitte des Zimmers. Er war voller Flecken und Brandlöcher. Was wie ein Wandschrank aussah, entpuppte sich als Toilette. Dusche und Waschbecken befanden sich draußen im Gang.
Arkadin trat ans Fenster. Er hatte um ein Zimmer an der Vorderseite gebeten; es war hier zwar lauter, doch er konnte aus der Vogelperspektive sehen, ob jemand kam. Die Straße war menschenleer, weit und breit war kein Auto in Sicht. Die kalten Lichter von Sewastopol pulsierten in einem langsamen Rhythmus.
»Es ist Zeit, ein paar Dinge zu klären«, sagte er und wandte sich zum Zimmer zurück.
»Jetzt? Hat das nicht noch Zeit?« Devra lag quer über dem Bett, die Füße noch am Boden. »Ich bin hundemüde.«
Arkadin überlegte einen Augenblick. Es war schon tiefste Nacht. Er war erschöpft, aber noch nicht bereit, zu schlafen. Er streifte die Schuhe ab und legte sich aufs Bett. Devra musste sich aufsetzen, um ihm Platz zu machen, doch anstatt sich neben ihn zu legen, nahm sie wieder ihre alte Position ein und legte den Kopf auf seinen Bauch. Sie schloss die Augen.
»Ich will mit dir kommen«, flüsterte sie, fast wie im Schlaf.
Ihre Worte machten ihn augenblicklich stutzig. »Warum?«, fragte er. »Warum willst du mit mir kommen?«
Sie antwortete nicht mehr; sie schlief bereits.
Eine Zeit lang lag er da und lauschte ihrem gleichmäßigen Atem. Er wusste nicht, was er mit ihr machen sollte, aber sie war alles, was er von Pjotrs Netzwerk noch hatte. Er dachte über alles nach, was sie ihm über Schumenko, Filja und Pjotr erzählt hatte, und suchte nach irgendwelchen Punkten, wo er ansetzen konnte. Er konnte nicht glauben, dass Pjotr wirklich so undiszipliniert war, aber andererseits war er von seiner Freundin verraten worden, die für Ikupow arbeitete. Das deutete auf einen Mann hin, der sich selbst nicht im Griff hatte und dessen Verhalten vielleicht auch auf seine Untergebenen abfärbte. Arkadin hatte keine Ahnung, ob Pjotr einen Vaterkomplex hatte, aber wenn man bedachte, wer sein Vater war, so war das durchaus möglich.
Dieses Mädchen war jedenfalls seltsam. Oberflächlich be trachtet glich sie vielen anderen jungen Mädchen, die ihm begegnet waren und die zynisch, hoffnungslos und verzweifelt wirkten. Aber Devra war anders. Er erkannte unter ihrem Panzer das verlorene kleine Mädchen, das sie einmal war und das vielleicht immer noch in ihr lebte. Er legte die Hand an ihren Hals und fühlte den langsamen Puls ihres Lebens. Natürlich konnte er sich auch irren. Vielleicht war alles nur gespielt – aber dann hätte er sich beim besten Willen nicht vorstellen können, was sie damit erreichen wollte.
Und da war noch etwas an ihr, was auch mit ihrer bewuss- ten Verletzlichkeit zu tun hatte. Sie brauchte etwas, dachte er, so wie wir
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