Das Brandhaus - Roman
an Moa besaß er ein wasserdichtes Alibi. An dem Wochenende ihres Verschwindens hatte er sich in Thailand aufgehalten. Er war drei Tage vor dem Vorabend des 1. Mai nach Hause gekommen. Die Walpurgisnacht hatte er in Gesellschaft von Freunden auf einer Fähre der Reederei Stena Line nach Kiel verbracht. Er hatte ihnen die Namen der etwa zehn Personen genannt, die bezeugen konnten, dass er sich während des fraglichen Zeitraumes an Bord der Fähre befunden hatte.
Der Besuch beim Frisör dauerte nur eine Viertelstunde. Dem Nächsten auf Hannus Liste war bei dem Gedanken, von der Polizei an seinem neuen Arbeitsplatz vernommen zu werden, der kalte Schweiß ausgebrochen. Er hatte versprochen, nach 17 Uhr im Präsidium zu erscheinen. Bis dahin würde Hannu Jonny begleiten, um einen weiteren Mann auf der Liste aufzusuchen. Wenn dann alle sieben lokalisiert und vernommen worden waren, mussten sie noch ihre eventuellen Alibis überprüfen. Anschließend wollten sie entscheiden, wer von ihnen noch verdächtig war und wen sie streichen konnten.
»Wir schaffen es noch, bei Moas Mutter vorbeizufahren. Von hier aus brauchen wir nur eine Viertelstunde. Wie heißt sie übrigens mit Vornamen?«, fragte Irene.
»Kristina, wird Kicki genannt. Kicki Olsson. Sie ist neununddreißig Jahre alt und wird, seit sie ein Teenager war, regelmäßig volltrunken aufgegriffen. Schon ihre Eltern waren Alkoholiker. Trotzdem hat sie die Kinder nicht vernachlässigt, jedenfalls hat das Jugendamt sie ihr nie weggenommen.«
»Und Moa? Ist sie irgendwann mal aktenkundig geworden?«
»Nein. Gegen sie liegt nichts vor. Aber bei ihrem Bruder, dem, der sich totgefahren hat, sah das ganz anders aus. Er wurde zweimal wegen Trunkenheit aufgegriffen und einmal wegen Beihilfe bei einem Autodiebstahl. Das war zwei Monate, bevor er das Auto klaute, mit dem er sich dann schließlich zu Tode fuhr.«
»Und du meinst, dass es kein Zufall ist, dass sich der Sohn zu Tode fuhr und die Tochter ermordet wurde? Teilweise gebe ich dir da recht, aber nicht ganz. Nicht alle, die in einem Alkoholikerhaushalt aufwachsen, werden selbst Alkoholiker.«
Hannu sah sie von der Seite an und sagte:
»Das sind dann die, die überleben, die Geschwister Olsson gehörten leider nicht dazu.«
Und ihre Mutter definitiv auch nicht. Die Kriminalbeamten parkten vor dem grauen, dreigeschossigen Betonhaus. Der Treppenaufgang war frisch in hellen Farben renoviert, aber jemand hatte bereits in einer bösartig-lila Farbe »MDNMDN-MDN« auf die eine Wand gesprayt. Die Buchstaben wurden von kleinen roten Phallussymbolen eingerahmt.
Sie klingelten an Kicki Olssons Wohnungstür. Als nach dem vierten Klingeln niemand öffnete, drückte Hannu die Klinke herunter, und die Tür ging auf. Auf dem Boden der Diele lagen Schuhe und Kleidungsstücke in einem einzigen Durcheinander. Ein Geruch von Müll und saurem Wein lag in der Luft. Sie stiegen über die Sachen auf dem Boden, und Irene rief in die Wohnung hinein:
»Hallo, Kicki Olsson, sind Sie zu Hause?«
Sie fanden sie im Badezimmer. Neben der Badewanne stand ein Hocker. Ein Trockengestell, das man von der Decke herablassen konnte, lehnte an der Wand. An einem der Deckenhaken hatte Kicki eine Wäscheleine aus Nylon festgebunden. Anschließend hatte sie die Wäscheleine zu einer Schlinge geknotet und sich über den Kopf gezogen. Sie hatte sich auf den Hocker gestellt und war in die Badewanne gesprungen. Ihrem Aussehen nach zu urteilen war das schon einige Tage her.
»Wir haben interessante Infos über die Mumie bekommen«, sagte Tommy.
Er biss in eine Zimtschnecke und spülte den Bissen dann mit einem ordentlichen Schluck Kaffee hinunter. Dann begann er vorzulesen:
»Es handelt sich um einen Mann um die vierzig. Wahrscheinlich ist er seit zwanzig bis dreißig Jahren tot. Todesursache sind drei Schussverletzungen. Zwei Kugeln in der Herzregion und eine im Kopf. Das Kaliber und den Typus der Kugeln erfahren wir frühestens morgen früh. Die Pistole, die in derselben Nische wie die Leiche gefunden wurde, ist in diesem Zusammenhang natürlich hochinteressant. Sie befand sich unter dem Teppich, auf dem die Leiche lag. Wahrscheinlich hatte man den Teppich dazu verwendet, den Toten in den Keller zu schaffen, in dem er dann eingemauert wurde. Die Pistole ist schon recht alt. Es handelt sich um eine russische Tokarev, die seit Mitte der fünfziger Jahre nicht mehr hergestellt wird. Die Techniker haben ein Foto gemacht.«
Auf die weiße Wand
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