Das Brandhaus - Roman
Geheimwaffe.«
Eine sehr junge Frau blickte scheu in die Kamera. Ein schüchternes Lächeln umspielte ihre Lippen. Ihr langes schwarzes Haar trug sie offen mit einem Mittelscheitel. Sie hatte ein feingeschnittenes Gesicht. Ihre mandelförmigen Augen waren ungeschminkt.
»Wie alt ist sie?«, fragte Irene.
»Sechsundzwanzig.«
»Sechsundzwanzig? No way!«
»Ich kenne sie schon seit dem Säuglingsalter«, erwiderte Åsa geduldig.
»Und sie weiß Bescheid?«
»Zumindest weiß sie alles, was sie wissen muss. Und sie stellt sich gerne zur Verfügung.«
Irene betrachtete nachdenklich das Foto des hübschen Teenagers,
der gar kein Teenager war. Åsa erzählte Irene von dem Mädchen und ihrer Familie.
Familie Björkman bestand aus Mutter, Vater und den drei Töchtern Li, An und My. Die Älteste, Li, kannten alle Göteborger, weil sie Nachrichtensprecherin bei TV 4 war und dort für die Lokalnachrichten zuständig. Die zweite, An, war Åsas beste Freundin seit den Pfadfindern. Sie war vier Jahre jünger als ihre große Schwester Li und arbeitete als Krankenschwester an Drottning Silvias Kinderklinik. Beide Mädchen stammten aus Korea.
Auf dem Foto war die Jüngste, My, zu sehen. Sie war aus Thailand adoptiert und arbeitete als Tänzerin und Musicalsängerin. Sie hatte ihre Ausbildung in London absolviert und dort einige Jahre lang gearbeitet. Sie war gerade erst in ihre Heimatstadt zurückgekehrt. In einigen Wochen würde sie in Kopenhagen im Musical »Cats« zu sehen sein. Obwohl sie ein werdender Star im internationalen Musical-Business war, war ihr Gesicht in Schweden unbekannt.
»Die Sache ist die, dass My nicht mal anderthalb Meter groß ist! 147 cm, um genau zu sein. Sie ist klein und zart, und deswegen spielt sie oft Kinder und Heranwachsende. Aber da ist noch etwas... sie ist eine sehr talentierte Thaiboxerin und hat etliche Auszeichnungen in ihrer Gewichtsklasse Strohgewicht errungen.«
»Strohgewicht? Wie viel wiegt man da?«
»Fast überhaupt nichts!«
Åsa strahlte vor Begeisterung. Irene musste zugeben, dass My sicher in der Lage wäre, eine Fünfzehnjährige zu spielen, falls das nötig werden würde.
»Und wie weit bist du mit Mr. Groomer?«, wollte Irene wissen, die plötzlich wieder ernst geworden war.
»Du meinst, ob er mich schon um Sexfotos gebeten hat? Was glaubst du! Natürlich. Er kann es wohl selbst noch nicht so recht fassen, dass er so eine naive und leicht zu überredende Beute gefunden hat. Aber bisher habe ich ihm nur ein recht unschuldiges Bild von My, ich meine Ann, geschickt, oben ohne.«
»Oben ohne! Das ist doch nicht dein Ernst …«
»Ein Foto. Sie hält sich die Hände vor die Brüste und sieht wahnsinnig betreten aus. Ann soll ja auch schüchtern sein. Ich habe ihm geschrieben, ich sei fünfzehn und gerade erst von Jönköping nach Göteborg gezogen. Ich werde hier in der Neunten anfangen. Oder besser gesagt, habe ich das jetzt schon getan, die Schule hat ja letzte Woche wieder begonnen. Als wir uns im Internet kennenlernten, war ich jedenfalls noch wahnsinnig allein in der neuen Stadt. Außerdem bin ich adoptiert und sehe anders aus als alle anderen. Schüchtern, einsam und auf der Suche nach Freunden, damit ist Ann vermutlich recht gut beschrieben.«
»Und dem konnte Mr. Groomer also nicht widerstehen?«
»Wenn du wüsstest, wie viele böse Onkel sich von unserer kleinen Ann angesprochen fühlten! Ein paar kamen direkt zur Sache. Sie bieten ein paar Hundert dafür, dass man sich nackt fotografieren lässt, soundsoviel für einen Blow-Job, einen Tausender für Geschlechtsverkehr und so weiter.«
Åsa verzog angewidert das Gesicht.
»Ich denke an meine Töchter. Was ich mir für Sorgen gemacht habe, als sie in diesem Alter nachts unterwegs waren. Freundinnen, Partys, Festivals … aber sich im Internet zu bewegen, scheint ja für junge Leute noch gefährlicher zu sein, ganz egal zu welcher Tageszeit«, meinte Irene.
»Unbedingt«, pflichtete ihr Åsa bei.
Irene verstummte und dachte nach. Dann sagte sie:
»Wir haben ein Problem.«
»Und das wäre?«
»Wir müssen unsere Chefin informieren.«
»Sie wird nein sagen. Nicht weil die Idee schlecht ist, sondern weil wir sie hatten«, stellte Åsa unverblümt fest.
Sie wirkte bedrückt.
»Aber wir haben schließlich noch einen Chef. Einen Mann«, meinte Irene und lächelte pfiffig.
Ein Lächeln tauchte auch auf Åsas Gesicht auf, als ihr klar wurde, wen Irene meinte.
Im Büro des stellvertretenden
Weitere Kostenlose Bücher