Das Buch aus Blut und Schatten
zurück. »Weil du meine beste Freundin bist und für mich da sein willst?«
»Ja, so ziemlich genau deshalb.«
»Du warst seine beste Freundin«, flüsterte sie. »Nicht meine.«
Das stimmte nicht, jedenfalls nicht so, wie sie es meinte. Aber es war auch nicht so falsch, dass ich protestieren konnte.
»Ich bin immer noch für dich da«, sagte ich zu ihr. »Egal, wann du mich brauchst. Das verspreche ich.«
»Du schuldest mir nichts.«
»Dann betrachte es als Geschenk.«
Darauf folgte eine lange Stille, die nur von tiefen, gleichmäÃigen Atemzügen und dem Rumpeln des Zuges durchbrochen wurde. Und dann hing plötzlich ein einzelnes Wort in der Dunkelheit, als hätte es mit dem, worüber wir gerade gesprochen hatten, überhaupt nichts zu tun. »Okay.«
Wir lagen da und schwiegen. Doch ich schlief nicht. Adriane auch nicht â ich konnte ihre Augen sehen. Deutschland verschluckte uns. Eli stöhnte im Schlaf. Adriane beobachtete ihn; ich beobachtete sie.
»Was sollen wir mit ihm machen?«, flüsterte sie, als der Himmel sich rosa verfärbte.
»Er ist in Ordnung.« Eli lag auf der Seite, mit dem Rücken zu uns. Sein Kopf sah aus wie eine Perücke aus den Borsten eines Stachelschweins, schwarze Haare, die in alle Richtungen ragten.
»Wir können ihm nicht trauen«, sagte sie leise.
»Stimmt. Aberâ¦Â«
»Aber was?«
»Er will doch nur herausfinden, wer es war. So wie wir.«
»Er will uns benutzen, um Max zu finden. Und es wäre durchaus möglich, dass die Polizei ihn geschickt hat. Oder jemand anders.«
»Damit werden wir schon fertig«, flüsterte ich.
»Was hältst du davon, ihm das Portemonnaie und den Pass abzunehmen und ihn an der nächsten Station aus dem Zug zu werfen?«
»Sehr witzig.«
»Das war kein Witz.«
»Ich bin der gleichen Meinung wie Nora«, murmelte Eli, der uns weiterhin den Rücken zugedreht hatte. »Damit sind wir zu zweit und in der Mehrheit. Und jetzt haltet die Klappe, damit ich schlafen kann.«
7 Paris â zumindest das bisschen, das wir gesehen hatten â war nicht die groÃe Unbekannte, sondern eher eine alte Bekannte gewesen, eine Postkartenlandschaft aus lauter gröÃten Hits. Vom Eiffelturm bis hin zu den pittoresk altmodischen boulangeries, von den Frauen mit den schicken Schuhen und den seidenen Schals, die mit einem Baguette im Fahrradkörbchen am Fluss entlangfuhren, über die alten Männer, die die Tauben vor Notre-Dame fütterten, bis hin zu den baskenmützenbewehrten Künstlern, die Flusslandschaften an der Seine malten, auf der unzählige Bateaux Mouches die Touristen über das Wasser trugen â die Stadt fühlte sich an wie ein riesiges Filmset.
Prag war eine Fremde.
Die Sprache, die fremd klang und fremd aussah, war völlig unverständlich. Konsonanten purzelten durcheinander, Vokale fehlten, es wimmelte nur so von merkwürdigen Akzenten, die uns im Schwarz und Rot der kommunistischen Ãra anbrüllten: Východ, Kour Å en à zakázáno, Zákaz fotografován à , Zav Å eno . Die Autos waren anders, gedrungen und bullig, als stammten sie aus den Siebzigern. Selbst die Menschen sahen anders aus. Ich hätte nicht beschreiben können, woran es lag, doch ich wusste, dass ich es mir nicht einbildete. Gesicht und Kleidung der Leute hatten dieselben Grundelemente wie bei mir, die gleichen Nasen, Augenbrauen und Rocklängen, aber irgendwie doch wieder nicht.
Es hätte mich nicht überraschen sollen. SchlieÃlich war es ein anderes Land; es musste anders sein. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass es anders war. Genauso wenig hatte ich damit gerechnet, wie unvermittelt die deprimierende Architektur des kommunistischen Blocks mit ihren schäbigen Zementwürfeln und rostenden Balkonen während der Taxifahrt vom Bahnhof ins Zentrum der Altstadt stuckverzierten Fassaden, engen StraÃen mit Kopfsteinpflaster, gotischen Kirchen und dem wachsamen Blick steinerner Heiliger weichen würde. Und ich hatte auch nicht damit gerechnet, dass das Fremde sich zu einem Ort auflösen würde, den ich bereits in meiner Fantasie gesehen hatte, in Elizabeths Briefen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es ihr Prag, das Dorf aus dem 16. Jahrhundert, das von Ratten und Gott und der Pest heimgesucht wurde, noch gab.
Als das Taxi anhielt, sagte der Fahrer etwas,
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