Das Buch aus Blut und Schatten
Pirat oder wenigstens als Samurai verkleiden wollte â stattdessen hatte ihre Mutter sie in einen Kimono gesteckt. »Ich will ja nicht als konservativ rüberkommen, aber vielleicht sollten sie einfach dahin zurückgehen, wo sie hergekommen sind.«
»Das ist meine Aufgabe«, sagte Eli. »Deshalb haben sie so einen Aufwand betrieben. Ich hab ihnen gesagt, dass es Zeitverschwendung ist. Ich hab mir geschworen, dass ich nie hierherkommen werde. Aber⦠jetzt bin ich hier.«
»Das kann man ganz einfach wieder ändern«, meinte Adriane.
»Adriane, halt den Mund.«
Ich wusste nicht, warum ich es sagte. Und ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, auch sie nicht.
»Kommt, wir gehen«, sagte Eli, der sich aus seiner Starre gelöst hatte. »Mit seinem Schicksal sollte man sich wohl nicht anlegen.«
10 Die Zentralbibliothek war ein schmuckloser Kasten, flankiert von zwei barocken Monstrositäten, deren kunstvoll verzierte Säulen und Sockel die »moderne« Architektur daneben statt fortschrittlich eher stumpf wirken lieÃen. Im Katalog war unter Hleda Ä i oder Lumen Dei nichts zu finden, und in der Zentralbibliothek und auch in keiner anderen Bibliothek im GroÃraum Prag arbeitete jemand mit dem Namen Iwan Glockner. Doch die junge Bibliothekarin, die eher wie eine Collegestudentin aussah und mit einer breiten Strähne in Neonpink in den Haaren und mehreren Piercings im linken Ohr nicht unbedingt dem Typ entsprach, den man in einer Bibliothek erwartete, erklärte uns den Weg ins Untergeschoss, wo seltene Dokumente gelagert wurden, zusammen mit einem Archivar, der angeblich »alles über alles« wusste.
Der Archivar â von Kopf bis Fuà in Schwarz gekleidet und mit einem Stachelhalsband die perfekte Ergänzung zu der Punkbraut von oben â hatte ebenfalls noch nie etwas von einem Iwan Glockner gehört. Auch Hleda Ä i und Lumen Dei sagten ihm nichts. Doch als ich ihn fragte, ob sie etwas über Elizabeth Weston hatten, verschwand er zwischen den Bücherstapeln und kam nach einigen Minuten mit einer roten Mappe zurück, in der eine brüchige, verblichene Seite aufbewahrt wurde. »Ich weià nicht, ob es das ist, wonach du suchst, aber es ist auf ihren Namen indexiert«, informierte mich der Archivar, der Englisch mit starkem Akzent, aber flieÃend sprach. »Das ist alles, was wir haben. Und möglichst nicht anfassen.«
Das brauchte er mir nicht zu sagen, schlieÃlich wusste ich, wie man mit seltenen Dokumenten umging.
Der Raum war groÃ, doch die fehlenden Fenster und ein Ãbermaà an dunklem Holz und muffigen Einbänden sorgten für die perfekte Kulisse, um Platzangst zu bekommen. Die stickige Luft roch leicht nach Schimmel. An einem der drei Holztische saà ein buckliger Mann, der sich über eine Zeitung gebeugt hatte und dem klein gedruckten Text mit den Fingern Zeile um Zeile folgte.
Prudens et innatus fuit tua sagacitas . Die Nachricht war kurz und einfach, leicht zu übersetzen, während Adriane ein paar Dehnübungen machte und Eli über meine Schulter sah, den Blick starr auf den Brief gerichtet.
Deine Vermutung hat sich als richtig erwiesen. Wir haben tatsächlich Grund zur Sorge. Die Tochter, die uns als Elizabeth Weston bekannt ist, hat die Arbeit ihres Vaters in Prag fortgesetzt. Allein wäre sie kein groÃes Risiko, doch sie hat sich mit einem Mechanistiker zusammengetan, einem Günstling am Hof des Kaisers. Rudolf selbst wird gewiss mit all seiner dämonischen Macht Einfluss nehmen.
Sie stehen kurz davor, ihr dunkles Ziel zu erreichen. Westons Haus in der Malá Strana ist nicht bewacht und es wird ein Leichtes sein, sich Zugang zu verschaffen. Ich rate in dieser Angelegenheit dringend davon ab, Milde walten zu lassen. Eine bloÃe Warnung wird bei einem Mädchen, das von Kelley groÃgezogen wurde, nicht fruchten. Sie ist von solchem Hochmut erfüllt, dass sie glaubt, der Herr sollte sich ihren Wünschen fügen.
Wenn dies Deine Entscheidung sein sollte, werden wir sie natürlich ohne Widerspruch und Zögern ausführen. Ich habe vollstes Vertrauen in Deine Weisheit und die Weisheit der Kirche.
In ewiger Treue und in Verteidigung des Glaubens.
Prag, 17. Januar 1599
Der Brief war nicht mit einem Namen, sondern mit einem Symbol unterschrieben â nicht das Auge mit dem Blitz, sondern zwei dunkle Striche, die eher wie ein Schwert als ein Kreuz
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