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Das Buch der Illusionen

Das Buch der Illusionen

Titel: Das Buch der Illusionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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benutzen. Ich schlafe unten auf dem Sofa.
    Sie schämte sich so sehn, dass sie nicht den Mut aufbrachte, mir ins Gesicht zu sehen. Ich verstehe nicht, sagte sie zum Fußboden, und als ich nicht gleich antwortete, wiederholte sie: Ich verstehe nicht.
    Heute Nacht geht niemand mehr irgendwohin, sagte ich. Ich nicht, und Sie auch nicht. Über morgen können wir morgen reden, aber jetzt legen wir uns erst mal hin.
    Was soll das heißen?
    Es heißt, dass es ein weiter Weg bis New Mexico ist. Es ist besser, wenn wir uns morgen früh frisch auf den Weg machen. Ich weiß, Sie haben es eilig, aber ein paar Stunden werden jetzt auch nicht mehr viel ausmachen.
    Ich dachte, Sie wollten, dass ich verschwinde.
    Wollte ich auch. Aber ich habe es mir anders überlegt.
    Sie hob ein wenig den Kopf, und ich sah, wie verwirrt sie war, völlig verwirrt. Sie müssen nicht nett zu mir sein, sagte sie. Das möchte ich nicht.
    Keine Sorge. Ich denke nur an mich, nicht an Sie. Morgen haben wir einen langen Tag vor uns, und wenn ich mich jetzt nicht aufs Ohr lege, werde ich kaum die Augen offen halten können. Ich muss doch wach sein, um zu hören, was Sie mir zu erzählen haben.
    Wollen Sie damit etwa sagen, Sie kommen mit? Nein, das kann nicht sein. Ausgeschlossen, dass Sie das wollen.
    Ich wüsste nicht, was ich sonst morgen tun sollte. Da kann ich auch mit Ihnen fahren.
    Lügen Sie nicht. Wenn das jetzt gelogen ist, ich glaube, das könnte ich nicht ertragen. Das würde mir das Herz aus dem Leibe reißen.
    Ich brauchte einige Minuten, um sie davon zu überzeugen, dass ich wirklich mit ihr fahren wollte. Mein Sinneswandel überstieg schlichtweg ihre Fassungskraft, und ich musste mich mehrmals wiederholen, bis sie mir endlich glaubte. Ich sagte ihr natürlich nicht alles. Nichts von mikroskopischen Löchern im Universum und den befreienden Energien zeitweiligen Wahnsinns. Das wäre zu kompliziert gewesen, und daher beschränkte ich mich darauf, ihr zu erklären, dass meine Entscheidung eine Privatsache sei und nichts mit ihr zu tun habe. Wir hätten uns beide schlecht benommen, sagte ich, für das, was passiert sei, sei ich genauso verantwortlich wie sie. Keine Vorwürfe, kein Verzeihen, keine Buchführung, wer wem was angetan habe. Etwas in dieser Richtung, Worte, die sie schließlich davon überzeugten, dass ich meine eigenen Gründe hatte, Hectors Bekanntschaft zu machen, und dass ich nur meinetwegen zu ihm fahren wollte.
    Es folgten zähe Verhandlungen. Alma sagte, sie könne das angebotene Bett nicht akzeptieren. Sie habe mir schon genug Unannehmlichkeiten bereitet, und außerdem hätte ich ja auch noch diesen Verkehrsunfall gehabt. Ich brauchte Ruhe, und die würde ich nicht finden, wenn ich mich auf dem unbequemen Sofa herumwälzte. Ich beteuerte, das sei schon in Ordnung, aber sie wollte das nicht gelten lassen, und so ging es hin und her - nicht einmal eine Stunde war vergangen, seit ich ihr einen Revolver aus der Hand gerissen und mir beinahe eine Kugel in den Kopf gejagt hatte, und schon führten wir eine alberne Sittenkomödie auf und versuchten einander gefällig zu sein. Ich war jedoch zu kaputt, um lange zu streiten, und ließ sie schließlich ihren Willen haben. Ich holte Bettzeug und ein Kopfkissen, warf die Sachen aufs Sofa und zeigte ihr, wo die Lichtschalter waren. Und das war's. Sie sagte, es mache ihr nichts aus, die Laken selbst auszubreiten, und nachdem sie mir zum siebenten Mal in drei Minuten gedankt hatte, ging ich nach oben in mein Zimmer.
    Natürlich war ich müde, aber als ich dann im Bett lag, konnte ich nicht einschlafen. Ich betrachtete die Schatten an der Decke, und als sie ihren Reiz verloren hatten, drehte ich mich auf die Seite und lauschte dem leisen Rascheln, mit dem sich Alma ein paar Meter unter mir bewegte. Alma, die weibliche Form von almus, also nährend, wohltätig. Schließlich ging das Licht unter meiner Tür aus, und ich hörte das Knarren der Sofafederung, als sie sich hinlegte. Danach muss ich für eine Weile weggedöst sein, denn als Nächstes erinnere ich mich daran, dass ich um halb vier aufwachte. Ich sah die Uhrzeit auf dem elektrischen Wecker neben meinem Bett, und da ich völlig benommen war, in der Schwebe zwischen Wachen und Schlaf, begriff ich nur undeutlich, dass ich die Augen aufgemacht hatte, weil Alma zu mir ins Bett gekrochen war und ihren Kopf auf meine Schulter gelegt hatte. Es ist so einsam da unten, sagte sie, ich kann nicht schlafen. Das verstand ich nur zu gut. Mit

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