Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
sie die Stufen hinunter. Auch in der Empfangshalle war das Licht eingeschaltet. Ungewöhnliche Stille herrschte um sie herum. Nicht der geringste Anschein von irgendwelchem Personal oder Gästen.
Eduard legte seine Hand an die Eingangstür, wollte sie öffnen. Vergebens.
„Zu“, entfuhr es ihm erschrocken.
„Dieses verdammte Miststück!“ zischte Cloud. Gleichzeitig ließ er die Klinge wieder aus dem Schaft schnellen. Im selben Moment wurde es dunkel. Jemand hatte das Licht ausgeschaltet.
Eduard rüttelte an der Tür.
„Was jetzt?“ flüsterte Cloud. „Wir sitzen in der Falle.“
„Hallo, Cloud“, vernahmen sie plötzlich hinter sich eine leise Stimme. „Cloud Wallis. Eduard Lony. Willkommen zu Hause. Willkommen daheim.“
Cloud packte Eduard am Handgelenk. Entsetzt starrte er auf seinen Freund, dessen Umrisse er nur undeutlich erkennen konnte.
„Könnt ihr euch noch an mich erinnern?“ sprach die Stimme weiter. „Wißt ihr noch, wer ich bin?“
„Gott verdamme ihn“, zischte Eduard. Mit aller Kraft versuchte er es von sich zu weisen, das Gesicht. Es wollte in ihn dringen, sich ihm zeigen, seinen Willen brechen.
„Das Versprechen“, hauchte es, „ihr müßt es noch einlösen. Ihr wißt doch, was ich meine?“ Es war, als würde er überall sein. Von jeder Seite drang die Stimme an ihre Ohren. Unmöglich, den genauen Standpunkt auszumachen.
„Richmon?“ entfuhr es Cloud. Abrupt ließ er Eduard wieder los. Langsam gewöhnten sich seine Augen an das Dunkel.
„Ihr wißt es also doch“, entgegnete die Stimme. „Immer noch seid ihr es mir schuldig. Siebzehn Jahre schon. Eine verdammt lange Zeit.“
Auf einmal war ihnen, als würde sich unweit der Treppe etwas bewegen, sich ihnen nähern. Cloud zuckte zusammen. Eduard machte unwillkürlich einen Schritt zurück. Mit dem Rücken stieß er gegen die Tür.
„Auf euer Leben habt ihr geschworen“, flüsterte die Stimme mit zynischem Unterton. „Nun ist es soweit. Ihr habt die Wahl. Das Buch, oder euer Leben.“ Das Geräusch hielt inne. Nur noch wenige Schritte schien es von ihnen entfernt zu sein. „Er befindet sich hier“, setzte es fort. „Will sie alle bekehren, der Narr. Dabei weiß er, daß es längst schon zu spät ist. – Bringt mir das Buch! Ich will, daß ihr es dorthin zurücklegt, von wo ihr es genommen habt. Und vergeßt nicht, euer Leben ist auch das Leben eurer Kinder.“
Eduard klammerte sich mit ausgebreiteten Armen am Türrahmen fest. Schweiß tropfte ihm von der Stirn. Mit einem Male war es wieder still. Kein Laut, nichts. Plötzlich wurde das Licht angeschaltet. Eduard konnte gerade noch einen Aufschrei unterdrücken.
„Es – ist – wieder – da“, stammelte er. „Ich sehe es deutlich vor mir. Dumpkin, hilf mir, verdammt noch mal, hilf mir doch.“
Cloud wandte sich seinem Freund zu. Sein Gesicht war kalkweiß angelaufen. Zitternd legte er Eduard eine Hand auf dessen Schulter.
„Er ist fort“, sagte er kaum hörbar. Die sanfte Berührung schien Eduard zu helfen. Allmählich verschwand das Gesicht, das ihn mit den großen dunklen Löchern immerzu anstarrte. Als würde sich ein grauer Schleier davorlegen, der von Mal zu Mal dichter wurde.
„Aber er kommt wieder, Ellinoy.“
„Das war nicht Richmon“, entgegnete Eduard. „Richmon ist tot. Das war ER.“
Cloud nickte. „Tun wir, was ER von uns will!“ erwiderte Cloud bestimmend. „Das ist unsere einzige Chance.“
„Dieses verdammte Buch“, hauchte Eduard. Er sah es vor sich liegen, wie er es damals aus der sechsundsechzigsten Stufe geholt hatte. Mit dem Schwur auf den Lippen, Sallivan ein für allemal zu erledigen. Eiskalt lief es Eduard über den Rücken, wenn er an das Ende von Sallivan dachte. Als sei es erst gestern gewesen, erst vor wenigen Stunden, so genau hatte es sich in ihn eingeprägt.
Ohne es eigentlich beabsichtigen zu wollen, drückte Eduard die Klinke der Eingangstür hinunter. Sie war nicht mehr verschlossen. Ein kalter Luftzug drang ihnen durch die Öffnung entgegen. Verwundert blickten sie sich für einen Moment gegenseitig an.
„Gehen wir in die Kirche“, schlug Cloud vor. Immer noch stand ihm der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Im selben Moment, wie sie das Hotel verließen, wurde nicht weit von dem Gebäude entfernt ein Wagen gestartet. Kurz darauf schoß ein schneeweißer Cadillac an ihnen vorüber.
„Jancy“, stieß Cloud zwischen den Zähnen hervor und blieb stehen. Eduard zog seinen Mantel etwas enger
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