Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
er seinen Gedanken aus. Eine Ahnung stieg in ihm auf. „Diese gottverdammten Hurensöhne“, zischte er. Wütend zogen sich seine Augenbrauen zusammen. Die Kirchturmglocke schlug soeben die neunte Stunde des Abends an. Im Schülerhaus brannte noch Licht. Sallivan schäumte vor Wut. Mit langen ausgreifenden Schritten näherte er sich dem Schülerhaus. Energisch riß er die Eingangstür auf. Keiner der Schüler befand sich noch außerhalb ihrer Zimmer. Hin und wieder vernahm Sallivan eine laute Stimme oder ein kurzes Lachen. Zwei Stufen auf einmal nahm er, als er die Treppe hinaufstieg. Schritte, die sich ihm vom oberen Flur aus näherten, drosselten sein Tempo. Kurz darauf stand er Schwester Maria gegenüber. Sie schien etwas verwirrt zu sein. Nervös spielte sie mit ihrem Kreuz, das an einer silbernen Kette um ihren Hals hing. Erschrocken über Sallivans plötzliches Auftauchen zuckte sie zusammen.
„Sie?“ entfuhr es ihr.
Sallivan wollte erst an ihr vorbei, besann sich aber eines anderen.
„Cloud Wallis“, fragte er sie barsch. „Haben Sie ihn gesehen?“
Schwester Maria schüttelte verneinend ihren Kopf. Von dem Schreck wieder erholt ärgerte sie sich über den Ton, den Sallivan ihr gegenüber anschlug. Entrüstet darüber hegte sie die Absicht, ihren Weg fortzusetzen. Sallivan versperrte ihr den Durchgang.
„Und der Chinese?“ fragte er taktlos.
Erbost blickte sie Sallivan an. „Sehen Sie selbst nach“, sagte sie nur. „Und nun lassen Sie mich vorbei!“ Schwester Maria machte einfach einen Schritt nach vorn. Sallivan blieb gar nichts anderes übrig als zur Seite zu treten. Mit wenigen Schritten hatte sie die Treppe erreicht und verschwand Sallivan aus den Augen.
Sofort begab sich Sallivan zu Showy und Dumpkins Zimmertür. Kurze Zeit stand er nur davor und lauschte, konnte jedoch keine Geräusche wahrnehmen. Ruckartig drückte er die Klinke nach unten. Das Öffnen der Tür und das Eintreten war eins. Gähnende Leere.
„Ihr gottverdammten Mistkerle!“ fluchte er. Zornig schlug er auf den Lichtschalter. Grimmig durchsuchte er mit den Blicken das Zimmer. Auf Anhieb fand er keinerlei Anhaltspunkte über den Verbleib seiner Schüler. Lautstark zog er die Tür hinter sich wieder zu.
„Irgenwann müßt ihr ja wiederkommen“, sprach er leise zu sich. Ein hämisches Grinsen verzog seine Mundwinkel. Geradewegs begab er sich zur Treppe. Sallivan unterließ es, noch bei Ellinoy und Champys Zimmer nachzusehen. Nachdem er das Schülerhaus verlassen hatte, lenkte er seine Schritte direkt auf die Eingangspforte zu. Im nächtlichen Schatten des Lehrerhauses verschanzte er sich in der Nähe des Baumes, den die Unzertrennbaren als Eingang benutzten, wenn das Tor schon verschlossen war.
Sallivan war beobachtet worden, als er das Schülerhaus stürmisch betreten, dann etwas später wieder verlassen hatte. Längstens befanden sich die Unzertrennbaren wieder im Internatsgelände. Es war Ellinoys Idee, sich bei Anbruch der Dunkelheit einzuschleichen und Sallivan aufzulauern.
Showy, Champy und Dumpkin befanden sich im Vorraum des Klassenzimmers. Niemals wäre Sallivan auf den Einfall gekommen, dort nach ihnen zu suchen. Ellinoy hatte sich zwischenzeitlich einen Platz gesucht, von dem er das Lehrerhaus sowie das Schülerhaus beobachten konnte. Geschickt hatte er sich hinter einem Gebüsch versteckt, das nicht weit von dem Klassenzimmer entfernt an der Klostermauer entlangwucherte. Lange hatte er nicht warten müssen, da sah er, wie Sallivan das Lehrerhaus verließ, für einige Momente stehenblieb und sich dann mit eiligen Schritten auf das Schülerhaus zubewegte. Eine Viertelstunde war verstrichen, da kam Sallivan zurück. Ellinoy sah genau, daß er neben dem Eingangstor verschwand. Geduldig wartete er, doch Sallivan kam nicht wieder.
„Da kannst du lange warten“, murmelte Ellinoy vor sich hin, nachdem mehrere Minuten verstrichen waren. Es fiel ihm nicht schwer, Sallivans Absichten zu erraten. Lautlos schlich er aus seinem Schlupfwinkel. Ein kaum hörbares Klopfen an der Fensterscheibe des Klassenzimmers war das verabredete Zeichen, daß die Luft rein sei. Dumpkin verließ als erster das Versteck. Mit dem Finger deutete Ellinoy, absolut leise zu sein. Showy machte den Schluß. Ihre Schuhe hatten sie sich vorsichtshalber ausgezogen. So schnell es ihnen möglich war, liefen sie auf das Schülerhaus zu. Von Sallivan unbemerkt verschwanden sie in dem Gebäude.
„Gott sei Dank“, atmete Showy auf. Erwartungsvoll
Weitere Kostenlose Bücher