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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Gullweig vors Gesicht. Ihre Augen spiegelten sich auf der blanken Klinge.
    «Hast du mich verstanden?»
    Gullweig nickte, und Odo entfernte den Knebel.
    «Der Junge wird nicht so bald zurückkehren», sagte er. «Ich habe eurem buckligen Nachbarn, den ihr Kryppa nennt, erzählt, woher der Junge das Eisen hat – von mir. Der Schmied wird es dem Jarl erzählen. Und du kannst dir vielleicht vorstellen, Frau, wie euer Herrscher darauf reagieren wird.»
    «Verräter», zischte Gullweig.
    Odo hob drohend die Klinge, ließ sie aber wieder sinken. «Mach dir keine Sorgen. Der Jarl wird den Jungen am Leben lassen.»
    «Woher willst du das wissen?»
    «Weil allein Gott, der Allmächtige, den Lauf der Welt bestimmt.» Odo bekreuzigte sich. «Und weil sich die Menschen in Haithabu erzählen, dass der Junge tatsächlich das beste Schwert geschmiedet hat. Das wird auch Hovi erkennen. Der Jarl ist schlau genug, sich nicht von allzu eilfertigen Rachegelüsten verleiten zu lassen.»
    Odo betrachtete die alte Frau, deren Gesicht von tiefen Falten gefurcht war. Sie hatte ihr Leben gelebt. Bestimmt ist sie eine gute Mutter gewesen, dachte er. Und vielleicht wäre sie sogar eine gute Christin geworden.
    Seufzend legte er das Messer beiseite. «Möchtest du meine Geschichte hören, Frau?»
    Gullweig schwieg.
    Odo begann trotzdem zu erzählen. Er berichtete von seiner Kindheit in Paris, einer reichen Inselstadt mit hohen Steinhäusern und einer herrlichen Kirche   – SaintEtienne!   –, und von seinen Eltern, bei denen er in Liebe und Fürsorge aufgewachsen war. Odo ließ kein einziges Detail aus. Weder von dem blutigen Überfall der Normannen noch von seiner Zeit im Kloster. Er genoss es. Niemals zuvor hatte er einem Menschen seine Geschichte erzählt, auch wenn ihn viele danach gefragt hatten. Aber hier, in der Heimstatt des Verderbers, perlten die Worte wie an einer langen Kette aus seinem Mund.
    «Und nun», schloss er seine Erzählung, «ist es an dir, Frau des Einar, mir deine Wahrheit zu offenbaren – die Wahrheit über den Jungen, den du als deinen Sohn ausgibst.»
    Gullweig schaute an Odo vorbei zur Tür, als rechne sie damit, dass Helgi jeden Augenblick eintreten würde. Aber er kam nicht.
    Odo sog geräuschvoll die Luft ein. «Nun?»
    «Ich kann nicht.»
    «Du kannst nicht?»
    Sie schüttelte den Kopf.
    Odo nickte verständnisvoll. «Für diesen Fall habe ich vorgesorgt und einige Dinge mitgebracht, die deinen Erinnerungen auf die Sprünge helfen werden.»
    Er knebelte sie wieder und sagte: «Es tut mir leid.»
    Er entfachte das Feuer mit frischen Scheiten. Als die Flammen hell loderten, legte er einen Schürhaken aus der Schmiede hinein und wartete, bis das Eisen glühte. Dann nahm er es heraus und begann, Gullweigs Zunge damit zu lösen.
    Von außen rüttelte der Sturmwind am Haus. Das Gebälk krachte, das Dach knirschte. Ein loser Fensterladen schlug einen unsteten Rhythmus. Donner rollte heran, der Wind heulte.
    Und noch immer war kein einziger Tropfen Regen gefallen.
    Als Odo mit der Frau fertig war, hatte er wie erwartet alles erfahren, was er wissen musste. Er wischte sich die Tränen aus den Augen, packte seine Sachen wieder zusammen und bereitete sich auf das Ende vor.
    Das Jüngste Gericht war nah.

48.
    Die Festtafel war beladen mit reifen Früchten, gekochten Flusskrebsen, geräucherten Aalen, gedünsteten Schollen, goldgelbem Käse und dem gebratenen Fleisch zarter Ferkel.
    Egil Blóðsimlir, Olaf Skoðgætir und andere auserwählte Krieger speisten an der Tafel. Jarl Hovi hingegen hatte sich in eine dunkle Ecke des Saals zurückgezogen, wo seine Sklavinnen ihn mit Köstlichkeiten versorgten. Denn nur seine Frauen durften ihn ohne die Maske sehen, die er zum Essen abnehmen musste. Nachdem man sich gestärkt hatte, wurden erneut die Feuer entzündet, und Egil verkündete Hovis Urteil.
    «Der Wettbewerb wird fortgesetzt», rief der Hofðingi. «So hat unser Jarl entschieden. Eisen ist Eisen, egal ob es aus Sliesthorp, Haithabu oder von den Munkis stammt. Daher soll sich das Schwert im Kampf Mann gegen Mann beweisen. Das bessere Schwert möge gewinnen.»
    Gizur grunzte zornig, als die Soldaten Helgi von seinen Fesseln befreiten.
    Nun wurden zwei lediglich mit kurzen Hosen bekleidete Männer in die Halle geführt. Einer war blond, derandere schwarzhaarig. Beide waren von ähnlicher Statur: gedrungen und kräftig. Es waren Frankar, gefangene Soldaten des ostfränkischen Königs Ludwig.
    Egil verkündete, es handele

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