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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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bückte er sich nach der Ratte und forderte die anderen auf, ihm ins Haus zu folgen. Aber sie zögerten. Der Gedanke, diese dunkle, schiefe Hütte zu betreten, behagte ihnen ganz und gar nicht.
    In der Tür drehte sich der Alte um. «Kommt schon. Ihr sucht doch einen Bootsbauer. Ich könnte euch erzählen, wo ihr die Werkzeuge findet, mit denen ihr euer Boot reparieren könnt. Ich hab euren Kahn gesehen, unten im Hafen. Ich sehe alles. Je eher ihr wieder verschwunden seid, desto besser. Ich kann euch nicht leiden. Ich kann niemanden leiden.»
    Widerwillig folgten sie Vyšemer in die Hütte, und es dauerte eine Weile, bis sie etwas erkennen konnten, da es nicht nur finster war, sondern auch der Rauch ihre Augen reizte. Die fensterlose Hütte bestand aus einem einzigen Raum, der wie bei einem Grubenhaus bis etwa auf Kniehöhe in die Erde gesetzt worden war. Inmitten des Raums loderte als einzige Lichtquelle ein Kochfeuer, über dem in einem Topf Wasser kochte.
    Ein Schlaflager aus schimmeligem Stroh und eine Truhe stellten neben dem Topf die einzigen Einrichtungsgegenstände dar. Die Truhe war mit einem ungewöhnlich massiven Schloss gesichert. Vermutlich befanden sich darin alle Sachen, die Vyšemer für wertvoll hielt. Auf dem Boden lagen achtlos verstreut mehrere Becher und Schüsseln.
    Der Alte warf den Nager in den Topf und fischte mit einem Holzlöffel eine andere Ratte, die bereits zerkocht war, heraus. Er legte das Tier in eine Schüssel und bot es ihnen an.
    «Habt ihr Hunger?», fragte Vyšemer.
    Helgis Magen zog sich zusammen. Natürlich hatte er bereits Ratten gegessen. Jeder tat das, wenn er kurz vorm Verhungern stand. Aber das Fleisch war unangenehm zäh und sehnig. Hinzu kam, dass Vyšemers Ratte stank und der Boden der Schüssel mit Schimmel überzogen war.
    Helgi, Teška und Ansgar lehnten dankend ab.
    Vyšemer zuckte mit den Schultern und verspeiste die Ratte selbst. Die kleinen Knochen, die er ausspuckte, schleckte der Hund vom Boden.
    Die anderen warteten ungeduldig, bis Vyšemer sein Mahl beendet hatte. Doch als er endlich fertig war, machte er noch immer keine Anstalten zu reden, sondern begann stattdessen, dem Hund das Fell zwischen den Ohren zu kraulen.
    Helgis Geduld war am Ende. «Du wolltest uns etwas über den Bootsbauer erzählen», sagte er ungehalten.
    Als Vyšemer jedoch noch immer keine Anstalten machte zu antworten, sondern lediglich gähnte, zog Helgi sein Schwert.
    «Schon gut, Großer», sagte der Alte. «Eine Straße weiter, unten am Wasser, stehen ein paar Hütten. In einer hat Radegast gewohnt. Der war so alt wie ich. Aber viel dicker. Hat auch immer Ratten gegessen. Macht satt, und es gibt sie reichlich.» Vyšemer warf ihnen einen mehrdeutigen Blick zu. «Radegast hat früher mal Boote gebaut. Da gibt’s noch Werkzeug.»
    «Was ist mit dem Mann geschehen?», wollte Ansgar wissen.
    «Tot ist er. Tot, wie alle anderen. Ich bin der Letzte. Das habe ich doch schon gesagt.»
    Helgi drängte zum Aufbruch. Er wollte nach den Werkzeugen sehen.
    Aber Ansgar zögerte. «Diese beiden Frauen   … kannst du uns erklären, wovon sie leben?»
    Ein Lächeln huschte über Vyšemers Gesicht. «Dummer Mönch! Sie lassen sich dafür bezahlen, dass sie ihre Schenkel breit machen.»
    «Hast du nicht eben noch gesagt, du wärst der letzte Mensch hier?»
    Vyšemer winkte mürrisch ab. «Ich will mit den Weibern nichts zu tun haben. Ich kann Huren nicht leiden. Aber manchmal kommen Männer, Soldaten aus den Burgen im Landesinnern, aus Ilow oder der Mikelenburg. Widerliche Kerle.»
    «Aber was wollen die Soldaten in dieser Geisterstadt?», fragte Ansgar. «Huren gibt es auch woanders.»
    Vyšemers Gesicht verfinsterte sich. «Das geht dich nichts an, neugieriger Franke. Ihr habt mir meine kostbare Zeit schon viel zu lange gestohlen. Ich hab zu tun. Verschwindet jetzt endlich!»
    Unter seinem drohenden Blick wichen die drei zur Tür zurück. Als sie wieder auf der Straße waren, atmeten sie tief die würzige Meeresluft ein. Eine Wohltat nach dem Gestank in Vyšemers Hütte.
    Als sie zum Hafen hinunterkamen, stellten sie erleichtert fest, dass der Alte nicht gelogen hatte. Unweit des Wassers stand ein Gebäude, das nicht verfallen war – das Haus des Bootsbauers Radegast.
    Helgi wollte gerade eintreten, als Teška ihn zurückrief. Sie war an einer erhöhten Stelle stehen geblieben, von der aus man den ganzen Hafen überschauen konnte. Aufgeregt zeigte sie zu den Landebrücken: «Da sind Männer! Sie

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