Das Buch der Sünden
Boden liegenden Vyšemer zurückließen.
Helgi spürte das Gewicht des Schwerts in seiner Hand. Es wäre ein Leichtes gewesen, den Verräter auf der Stellezu erschlagen. Doch er wartete, bis Vyšemer sich aufgerappelt hatte und zwischen den Ruinen verschwunden war.
Am Hafen loderte ein großes Feuer, das die Seeräuber entzündet hatten. Nun hockten sie bei den wärmenden Flammen und tranken. Nach einer Weile gesellten sich die Slawen, die unverrichteter Dinge von Radegasts Haus zurückkehrten, zu ihnen. Trinkhörner wurden mit Wein gefüllt, man hörte Gelächter und Trinksprüche. Die Huren schrien, als man ihnen die Kleider von den Leibern riss, und ihre Schreie wurden noch lauter, als sie ins Hafenbecken geworfen wurden. Vermutlich sollten sie sich vorher waschen.
«Worauf warten wir noch?», fragte Teška und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
Es war Nacht geworden, der Mond tauchte die Stadt in fahles Licht. Die Geräusche der feiernden Männer hallten durch die Gassen, irgendwo hatten Grillen ihr Konzert begonnen.
In Radegasts Haus war es still.
Glücklicherweise hatten die Slawen die Geheimtür nicht entdeckt. Helgi räumte Bretter und Strohballen zur Seite und kroch in den Anbau. Teška und Ansgar folgten ihm. Da sie keine Fackeln hatten, würden sie das Boot im Dunkeln vorbereiten müssen.
Helgi tastete nach dem Holzstapel, der sich an der Rückwand des Anbaus befand. «Hier sind Dutzende Rundhölzer», erklärte er den anderen. «Wir werden das Boot darüberrollen.»
Zunächst würden sie jedoch die Rückwand herausbrechen müssen. Helgi suchte die Wand nach den Halterungenab. Wo waren nur diese verdammten Zapfen gewesen? Dann sah er sie plötzlich auf halber Höhe im Winkel zwischen Seiten- und Rückwand.
Aber warum konnte er mit einem Mal etwas erkennen?
Helgi wirbelte herum. Ein Lichtschein huschte über die Wand und warf flackernde Schatten.
«Hab ich euch!» Vyšemer lugte durch die Geheimtür und leuchtete den Anbau mit einer Fackel aus. Sein linkes Auge war von den Schlägen geschwollen, und an seinem Bart klebte Blut. Aber seine trüben Augen funkelten vor Habgier. Er stieß ein meckerndes Lachen aus, zog sich wieder zurück und schlug die Luke zu, die er von außen verrammelte.
Helgi stürzte im Dunkeln zur Tür und zerrte daran. Aber Vyšemer hatte auf der anderen Seite eine Stange durch den Bügelgriff geschoben.
«Du hast uns in eine Falle gelockt», rief Helgi zornig.
Rasch flüsterte er Ansgar und Teška zu, dass sie die Halterungen der Rückwand lösen sollten. Er musste Vyšemer hinhalten, bevor dieser die Slawen holen konnte.
«He, alter Mann, stimmt das nicht?», rief Helgi.
«Ja, natürlich», erwiderte Vyšemer. Seine Stimme drang gedämpft durch die Tür. «Einen solchen Fang lasse ich mir doch nicht entgehen. Ich wusste, dass ihr das Boot entdecken würdet. Der Dicke hat es gebaut. Feines Boot. Er wollte damit abhauen. Aber das konnte ich nicht zulassen. Er war ja mein Freund.»
«Warum wollte Radegast aus der Stadt verschwinden?»
Im Hintergrund konnte Helgi hören, wie Ansgar und Teška die Zapfen aus dem Holz zogen.
«Er wollte nicht gefressen werden.» Vyšemer lachte. «Er hatte nicht mehr lange zu leben. Und ich konnte nichtwarten, bis er sterben würde. Dann verdirbt das Fleisch. Das wusste er.»
«Du wolltest deinen Freund … essen?»
«Jeder muss sehen, wo er bleibt.»
Ansgar und Teška mühten sich noch immer an den Zapfen ab. Einige steckten sehr fest.
Vyšemer rief: «Die Soldaten haben mir zwei Münzen versprochen. Eine für das Weib und eine für dich, Däne. Den alten Mönch können sie nicht gebrauchen. Ich werde ihn essen, so wie Radegast. Ein Teil davon wird gekocht oder gebraten. Den Rest pökele ich, für den Winter. Man muss sich Vorräte anlegen. Er wird zwar zäh sein …»
«Die Zapfen sind raus», flüsterte Ansgar.
«… aber besser schmecken als die Ratten. Man braucht auch mal Abwechslung …»
Helgi tastete nach den Schraubzwingen und begann sie von den Planken zu lösen.
«… Radegast war fett. Der Mönch ist zu dürr. Ich werde ihn mästen …»
Helgi machte sich an den Stangen zu schaffen, mit denen der Vorder- und der Achtersteven gestützt wurden.
Als er damit fertig war, flüsterte er: «Wenn ich die Wand herausgebrochen habe, legt einer von euch die Rundhölzer in einem Abstand von jeweils einem Schritt vor dem Bug aus. Ich werde mich erst um Vyšemer kümmern, dann schiebe ich das Boot über die
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