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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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würde man bald eine neue Lieferung aus einem entlegenen Steinbruch herankarren müssen.
    Odo war zufrieden mit sich und seiner Gemeinde. Abgesehen von dem Querulanten Arculf, der ihm mit seiner Nörgelei und seiner Verehrung für den greisen Ansgar gehörig auf die Nerven ging.
    Als hätte Arculf Odos Gedanken erraten, erschien derehemalige Priester auf der Baustelle. Er betrachtete die Arbeiten skeptisch und zupfte an seinem weißen Bart, der aus seinem Gesicht hervorwuchs wie ein zu Eis erstarrter Wasserfall.
    Als er Odo bemerkte, der sich auf einem Bretterstapel niedergelassen hatte, bewegte er sich zögernd in dessen Richtung.
    «Diese Kirche da», sagte der Weißbart und deutete hinter sich, «sie wird dem Jarl nicht gefallen. Mehr noch, Vater, sie wird seinen Zorn heraufbeschwören.»
    Odo schenkte dem Alten ein gütiges Lächeln. «Sag, Arculf, warum führst du das harte Wort ‹Zorn› in deinem Munde, und warum sorgst du dich um das Seelenheil des Götzenanbeters Hovi?»
    «Ich sorge mich nicht um die Seele des Jarls. Aber ich befürchte das Schlimmste für unsere Gemeinde.»
    «Und ich fürchte, dass du nicht auf die Größe und die Macht unseres Herrgotts vertraust, Bruder.»
    Arculf schüttelte mürrisch den Kopf. «Darum geht es nicht, und das wisst Ihr genau. Als Ansgar einst unsere bescheidene Kirche erbauen ließ, wurde das dänische Reich von Horick dem Älteren regiert. Er war ein König, der von Ansgar die Taufe erhalten hatte. Aber die Zeiten haben sich geändert   …»
    Odo fiel ihm ins Wort. «Du sagst es: Die Zeiten haben sich geändert.»
    Arculf ließ sich nicht beirren. «Auch der jetzige König, Horick der Jüngere, wird sich von Ansgar taufen lassen», fuhr er unbeirrt fort. «Bis es jedoch so weit ist, sollten wir uns in Bescheidenheit üben. Hovi ist kein Freund der Christen. Wir müssen zunächst die Gnade des Königs und seiner Grafen erbitten, bevor   …»
    «Du redest wie ein altes Weib», unterbrach ihn Odo erneut. «Ansgar hat geglaubt, wenn er erst einmal die Herzen dieser Heidenführer gewonnen hat, dann kriecht auch das Volk zu Kreuze. Aber das ist Unfug. Einen Dreck geben die einfachen Leute darauf, welchen Glauben ihre Obrigkeit vorgibt. Ich wiederhole mich, wenn ich dir vorrechne, wie viele Heiden ich bislang habe bekehren können und wie viele Ansgar um sich geschart hatte. Nein, der Weg zur Bekehrung eines Volkes verläuft nicht von oben nach unten – sondern umgekehrt. Die Saat geht in der Erde auf!»
    «Aber   …», warf Arculf ein.
    «Halt jetzt den Mund», zischte Odo, dessen Geduld mit diesem aufsässigen Burschen am Ende war. Arculf war ein rückwärtsgewandter Sturkopf.
    Der Alte zog ein säuerliches Gesicht. Doch noch schien er sich nicht geschlagen zu geben. Er wollte gerade zu einer weiteren Gegenrede anheben, als ihn ein Schrei verstummen ließ.
    Beide wandten den Kopf zur Baustelle und sahen, wie ein Eichenstamm, mit dem das Dach abgestützt werden sollte, langsam umkippte und einen der Bauarbeiter unter sich begrub.
    Odo lief sofort zur Unfallstelle. Die Arbeiter waren damit beschäftigt, den Verunglückten unter dem Balken hervorzuholen. Sie hoben den schweren Stamm auf und trugen ihn ein Stück weiter. Der Mann, der daruntergelegen hatte, stöhnte vor Schmerzen. Sein linker Arm war unnatürlich verdreht. Das Schultergelenk schien ausgekugelt zu sein.
    «Wie konnte das geschehen?», herrschte Odo die Herumstehenden an.
    Der Vorarbeiter Ulf löste sich aus der Menge. «Es ist meine Schuld», stammelte er. «Ich hätte mehr Männer abstellen sollen, um den Balken in der Senkrechten zu halten.»
    Wut wallte in Odo auf, als er Ulf sah. Er erinnerte sich sofort daran, was Folke über dessen Diebereien verraten hatte.
    «Bringt den Verletzten zu Bruder Liffard», rief Odo den Arbeitern zu. «Er soll die Schulter untersuchen. Vielleicht ist der Arm noch zu retten.»
    Dann wandte er sich an Ulf. «Du bist entlassen. Verschwinde! Ich will dich hier nicht mehr sehen.»
    Ulf entglitten die Gesichtszüge. «Aber das könnt Ihr nicht machen! Der Mann wird wieder auf die Beine kommen. Ich werde von nun an noch besser achtgeben. Das verspreche ich Euch, Priester Odo. Ich habe meine ganze Kraft in dieses Gebäude gesteckt. Die Steinkirche ist mein Werk. Ich
muss
sie vollenden!»
    Ein anderer Arbeiter trat vor. «Wir werden ohne Ulf nicht weitermachen können. Er allein kennt die Pläne. Nur er weiß, auf welche Weise die Kirche gebaut werden muss, ohne dass sie über

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