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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Richtung Stadt davon.
    Odo achtete nicht auf Egils Worte. Er schaute auch nicht hinter den davonreitenden Kriegern her. Er starrte nur wie benommen auf den zerfetzten Körper des toten Bruders Arculf.
    Diese Raserei, diese pure, nackte Gewalt!
    Odo war fasziniert. Er hatte den Dämon gesehen. Ja, das war er gewesen: der Zorn. Ira!
     
    Diese Angsthasen!
    Jähe Wut erfasste Odo. Hatte er den Arbeitern nicht soeben gezeigt, wie man diesen Barbaren die Stirn zu bietenhatte? Nicht, indem man sich verkroch und hoffte, das Gewitter würde an einem vorbeiziehen und der Blitz beim Nachbarn einschlagen. Nein! Auch nicht, indem man die Beherrschung verlor, wie Arculf, der dafür mit seinem Leben gebüßt hatte. Und ganz sicher nicht, indem man vor den Barbaren zu Kreuze kroch.
    Das Entsetzen unter den Gemeindebrüdern und den Arbeitern war noch immer groß. Man hatte Arculf in einem Sarg aufgebahrt und zu einer abseits gelegenen Stelle getragen. Dort bestattete die Gemeinde ihre Toten in sandiger Erde.
    Odo hatte ein Gebet gesprochen. Er hatte Arculfs Leben und Wirken in höchsten Tönen gelobt – was ihn weniger Überwindung kostete, als er befürchtet hatte. Dann hatten sie den Körper in die Grube herabgelassen und sie anschließend mit Erde aufgefüllt.
    Nun standen die Männer und auch Folke und die anderen Knaben, die an der Zeremonie teilgenommen hatten, vor ihrem Priester. Sie scharrten betreten mit den Füßen im Dreck.
    Odo schäumte innerlich.
    Er hatte die Arbeiter nach der Beerdigung wieder auf die Baustelle schicken wollen. Doch sie hatten sich standhaft geweigert. Als ihren Sprecher hatten sie Ospak auserkoren, den Odo erst vor wenigen Stunden als neuen Vorarbeiter eingesetzt hatte. Der Däne hatte ihm zu verstehen gegeben, dass die Männer nicht mehr an der Kirche weiterarbeiten würden.
    «Wir werden zurück zum Wall gehen», sagte Ospak. «Ihr habt doch gehört, was Egil gesagt hat: Der große Hovi braucht dort jetzt jede Hilfe. Er wird uns wieder in Lohn und Brot nehmen.»
    Da platzte es aus Odo heraus: «Wie könnt ihr nur so dumm sein? Natürlich wird Hovi euch Arbeit geben. Aber er wird euch nichts dafür zahlen. Er hat euch jetzt genau da, wo er euch haben wollte. Ihr kriecht zu ihm zurück und bettelt um Anstellung – weil ihr um euer Leben fürchtet. Weil ihr glaubt, dass diese wahnsinnigen Krieger mit euch genau dasselbe anstellen werden, was sie mit Arculf getan haben. Aber Hovi wird euch nicht einmal die Hälfte von dem bezahlen, was ihr früher bei ihm verdient habt.»
    «Aber ich bekomme lieber weniger Geld, als dass ich totgeschlagen werde», warf ein Steinmetz ein. «Davon hat meine Familie nämlich auch nichts.»
    Die Umstehenden stimmten ihm zu.
    Odo stand auf verlorenem Posten. Er brauchte diese Steinkirche, und zwar genau so eine, wie er sie im Buch gesehen hatte. Ohne ein solches Gotteshaus würde sich die Prophezeiung nicht erfüllen. Ohne die Kirche wäre alles umsonst gewesen.
    Er musste die Arbeiter, die er so mühsam angeworben hatte, zurückgewinnen – um jeden Preis.
    Mit einem Mal tauchte Ulf auf, der die Beerdigung aus einiger Entfernung beobachtet hatte. Er sagte: «Ich bleibe bei Euch, Priester. Aber natürlich nur, wenn Ihr meine Hilfe noch annehmt.»
    Dann wandte Ulf sich an die anderen. «Der Priester spricht die Wahrheit. Hovi wird euch mit einem Hungerlohn abspeisen. Ihr werdet ihm dankbar dafür sein müssen, überhaupt noch Arbeit zu haben. Er wird euch ausnutzen und zu den niedrigsten Aufgaben anhalten.»
    Die Männer steckten tuschelnd die Köpfe zusammen.
    «Aber was ist, wenn Egil zurückkommt?», wollte Ospaknach einer Weile wissen. «Wer garantiert dann für unsere Sicherheit?»
    «Egil hat gesagt, dass Hovi jeden Arbeiter braucht», erwiderte Ulf. «Aber das ist nur das eine. Hovi braucht auch Soldaten. Er muss Männer anwerben für seinen Krieg. Er kann es sich nicht leisten, wehrlose Arbeiter anzugreifen. Wenn das die Runde macht, werden ihm viele Männer die Gefolgschaft verweigern.»
    Odo hörte Ulf mit wachsender Begeisterung zu. Warum war er darauf nicht selbst gekommen? Der ehemalige Vorarbeiter mochte zwar ein Dieb sein, aber er war auch ein gerissener Hund.
    «Ich werde euren Lohn erhöhen», rief Odo, um die Arbeiter zu überzeugen.
    Ospak zupfte nachdenklich an seinem Ohrläppchen. «Um wie viel?»
    Jetzt hatte Odo sie. «Um das Doppelte!»
    Ein Raunen ging durch die Menge.
    Odo triumphierte innerlich. Diese Heiden waren wirklich einfach zu

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