Das Buch der Sünden
hochgezogen. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Er presste die linke Hand gegen seinen Unterleib, in der Rechten hielt er einen Knüppel. Humpelnd kam er auf sie zu.
Sie sah keinen anderen Ausweg, ließ vom Tor ab und rannte zurück zum Hof. Dort versuchten Sklaven und Wächter immer noch, die lichterloh brennende Baracke zu löschen.
Inzwischen hatte sich eine Eimerkette vom Brunnen bis zum Feuer gebildet. Die alte Warba stand in der Nähe des brennenden Hauses.
Der Mann hinter ihr stieß sie an. «Hast du das gesehen?»
Warba drehte sich zu ihm um. «Was denn?»
Der Mann vergaß, den ihm gereichten Eimer weiterzugeben. «Da ist gerade jemand in die Baracke hineingelaufen.»
«Wer?»
«Ich glaube, es war Rúna.»
Rufe wurden laut, der Mann solle seinen Eimer sofort weiterreichen. Er gab ihn Warba, die die nächste in der Schlange war.
Warba starrte auf die Tür, aus der die Flammen schlugen. «Dann ist sie nicht mehr zu retten.»
Wie von Sinnen hackte Helgi mit der Streitaxt auf die Bretter ein.
Der Axtkopf traf auf faustdickes Eichenholz, es splitterte und krachte. Helgis Kräfte waren entfesselt. Bald lösten sich unter den Hieben die ersten Bretter. Helgi nahm den Axtstiel als Hebel zu Hilfe und brach weitere Stücke heraus, bis ein Loch entstanden war, durch das er seinen Arm stecken konnte. Er bekam den Riegel zu fassen und öffnete das Tor.
Der Innenhof war voller Menschen. Zerlumpte Gestalten, die versuchten, das Feuer zu löschen. Wo war Rúna? Er rief ihren Namen. Doch niemand achtete auf Helgi.
Nur ein gedrungener Mann, der keine zehn Schritt von Helgi entfernt stand, drehte sich nach ihm um.
Helgi erkannte ihn und schrie: «Bani!»
Sofort stürzte er sich auf den Mörder seines Vaters.
Gizur entglitten die Gesichtszüge. Mit schützend über den Kopf erhobenen Händen wankte er rückwärts. «Nein!», schrie er.
Im Laufen schwang Helgi die Axt und schlug zu. Der Kryppa duckte sich. Um Haaresbreite verfehlte die Axt ihr Ziel, streifte Gizurs Kopf und riss ihm ein Stück des rechten Ohrs ab.
Da gellten Schreie an Helgis Ohren. «Rúna! Rúna!»
Vor dem Eingang der brennenden Baracke stand eine ältere Sklavin und fuchtelte mit den Armen. Immer wieder rief sie den Namen des Mädchens.
Helgi ließ von Gizur ab, der, in Erwartung des nächsten Axthiebs, wimmernd am Boden hockte.
Helgi lief zu der Alten und packte sie an den Schultern. Ihr Gesicht war vom Ruß verschmiert. Tränen hatten Spuren auf ihren schwarzgefärbten Wangen hinterlassen.
Er schrie sie an: «Wo ist Rúna?»
Die Frau zeigte in die Baracke. «Sie ist … dort hineingelaufen.»
Flammen schossen fauchend durch das Dach. Im Innern des Gebäudes stürzten Wände ein. Die Baracke würde jeden Augenblick zusammenstürzen.
Helgi zögerte einen Moment. Dann warf er die Axt entschlossen fort und riss einem Mann einen gefüllten Eimer aus der Hand. Er zog sein Hemd aus, tauchte es in das Wasser, bis der Stoff sich vollgesogen hatte, wrang es aus und hielt es sich vor Mund und Nase. Dann lief er in die Flammenhölle.
Die Hitze versengte seine Haare. Rauch biss in seinen Augen. Überall war grelles Licht, loderndes Feuer. DerQualm, der durch den feuchten Stoff drang, schnürte ihm die Kehle zu. Langsam tastete Helgi sich voran, setzte einen Fuß vor den anderen. Mit einem Mal stürzte unmittelbar neben ihm ein brennender Dachbalken zu Boden. Eine Ladung Stroh, mit dem das Dach gedeckt war, fiel hinterher und fing sofort Feuer. Mannshoch schossen knisternde Flammen empor. Helgi wich zurück. Wo war sie? Wo war Rúna?
Er stapfte weiter vorwärts, orientierungslos, wusste nicht mehr, wo der Ausgang war. Niemals würde er wieder aus diesem Glutofen herausfinden. Niemals!
In seiner Verzweiflung nahm er das feuchte Hemd vom Mund und rief nach ihr. Was für eine Dummheit! Sofort atmete er Qualm ein, der in seinen Lungen brannte wie glühende Nadeln. Er hustete, spuckte. Schnell presste er sich das Hemd wieder vor den Mund. Dann wankte er weiter, schabte dabei mit den Füßen dicht über den Boden, tastete nach ihrem Körper.
Links von ihm brach ein Stück der Wand ein. Luft drang in die Baracke, die Flammen fauchten wie Raubtiere. Der Qualm umnebelte immer stärker Helgis Bewusstsein. Er war kaum noch in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Er würde hier sterben, ganz sicher würde er hier sterben, irgendwo in dieser brennenden Sklavenbaracke, ebenso wie Rúna, wenn sie nicht schon längst … Da stieß er mit
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