Das Buch der Toten
Caroline hätte weder den Antrieb noch die nötige Kraft besessen, Janie eigenhändig zu massakrieren, aber nachdem Janie einmal außer Gefecht gesetzt war, wäre es kein Problem für sie gewesen, noch ein paar Messerstiche oder Brandverletzungen beizusteuern.«
»Aber Carolines und Willie Burns' Beteiligung bedeutete ein erhöhtes Risiko für die Jungs: zwei Schwachstellen, bei denen man sich nicht sicher sein konnte, dass sie die Klappe halten würden, Caroline wegen ihrer psychischen Labilität und Burns, weil er ein Junkie und ein Schwätzer war. Mal angenommen, Burns hätte sich in einer wirklich verzweifelten Situation befunden, Ebbe in der Kasse, und das bei seiner schweren Heroinsucht? Und wenn er nun versucht hätte, ein bisschen Kohle zusammenzukratzen, indem er die anderen erpresste? Für einen Junkie aus der Gosse wie Burns wären so ein paar reiche weiße Knaben mit einem hässlichen Geheimnis die idealen Opfer. Das würde Michael Larners Wut über Bums' Verschwinden erklären. Burns stellte eine ganz konkrete Bedrohung für Larners Sohn dar und jetzt war er plötzlich abgehauen. Burns' Erpressungsversuch könnte zudem erklären, warum er Boris Nemerov hängen ließ, obwohl er vorher immer ein verlässlicher Kandidat gewesen war. In Anbetracht all dessen wird auch Burns' paranoides Gefasel am Telefon über irgendwelche Leute, die hinter ihm her seien, plötzlich verständlich. Burns hatte keine Angst davor, ins Gefängnis zu wandern. Er war in einen brutalen Mord verwickelt und hatte sich anschließend mit seinen Mittätern überworfen.«
Milo schlug seinen Notizblock auf. »Chapman und Hansen. Haben die auch Vornamen?«
»Im Jahrbuch standen bloß die Initialen, und an die kann ich mich nicht erinnern.«
»Highschool«, sagte er. »Ach, die goldene Zeit.«
»Für Garvey Cossack war es wirklich eine goldene Zeit. Er hat fälschlicherweise behauptet, als Schatzmeister seines Jahrgangs fungiert zu haben.«
»Gute Vorbereitung für eine Karriere in der Finanzbranche… Okay, nehmen wir uns mal dieses Jahrbuch vor.«
Bereits wenige Minuten nach unserer Ankunft in der Bibliothek hatten wir die fehlenden Angaben über die restlichen King's Men ermittelt. Mit achtzehn war Vance Coury jun. ein gut aussehender, dunkelhaariger Jüngling mit dichten, schwarzen Augenbrauen gewesen. Seine Lippen waren zu einem beinahe spöttisch wirkenden Lächeln gekräuselt, sein Blick durchdringend. Eine gewisse Sorte Mädchen würde ihn sicherlich cool gefunden haben.
»Typ jugendlicher Schwerenöter«, sagte ich. »Passt genau zu Janies Beschreibung. Sie hat nicht immer nur fantasiert, auch wenn Melinda es so darstellt. Ich wette zehn zu eins, dass sein Dad vor zwanzig Jahren einen Jaguar hatte.«
Courys Aktivitäten außerhalb des Unterrichts waren ähnlich beschränkt gewesen wie die der Cossacks und Brad Larners: Aufsicht in der schuleigenen Kfz-Werkstatt und die King's Men.
Hinter L. Chapman verbarg sich der mondgesichtige Luke, ein bulliger blonder Bursche mit ausdrucksloser Miene.
Einziges Hobby: die King's Men.
Der letzte der Jungen, Nicholas Dale Hansen, bot schon ein etwas anderes Bild. »Nick« Hansen, ein adretter, brav wirkender junger Mann mit bierernster Miene, war in der Jungen Wirtschaftskammer, dem Kunstclub und den Pfadfindern aktiv gewesen. Auch war er in zwei Halbjahren unter die Jahrgangsbesten gekommen.
»Der Schlaumeier in der Gruppe«, sagte Milo. »Ich frage mich, ob er so schlau war, sich aus dieser Geschichte rauszuhalten.«
»Oder er war der Kopf der ganzen Truppe.«
Wir nahmen uns das Who's who vor, mit dessen Hilfe ich die Namen der Jungen ermittelt hatte. Keine biografischen Angaben zu irgendeinem Mitglied der Truppe außer Garvey Cossack jun.
»Coury flickt in Van Nuys Autos zusammen«, sagte Milo.
»Das ist also keine große Überraschung. Und der gute Luke sieht aus, als ob er nicht gerade das hellste Birnchen im Kronleuchter wäre. Aber ich persönlich bin enttäuscht von Nick Hansen. Vielleicht konnte er als Erwachsener nicht halten, was er als Schüler versprochen hatte.«
Wir verließen die Bibliothek und setzten uns auf eine Steinbank am Rand des Wasserbeckens vor dem Eingang. Ich sah dem Kommen und Gehen der Studenten zu, während Milo die Zulassungsstelle anrief und in die Rolle eines Detectives der Abteilung Autodiebstahl im Revier Southwest schlüpfte. Es kostete ihn etwas Mühe, seinen Gesprächspartner dazu zu bewegen, im Archiv zwei Jahrzehnte zurückzugehen, aber
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