Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
Reichweite.
    Milo hatte in Boscs Haus keine Ausdrucke gefunden, was bedeutete, dass er sie in seinem Büro gelassen hatte. Oder im Büro eines anderen.
    Bosc tippte weiter in die Tasten, und der Bildschirm füllte sich mit Daten, verschlüsselten Zahlenkolonnen, deren Code Bosc unaufgefordert erklärte. Er drückte eine andere Taste, und die Kolonnen wurden von einer Darstellung ersetzt, die an eine Blaupause erinnerte. Vektoren, geometrische Orte, Koordinaten alles baute sich in Sekundenschnelle auf.
    Bosc saß auf dem Beifahrersitz des Saab. Seine Hände waren frei, damit er das Gerät bedienen konnte, aber vorher hatte ihm Milo die Fußfessel wieder angelegt, während er ihm den Lauf der Pistole ins Genick gehalten hatte.
    Er hatte ihm versprochen, ihn laufen zu lassen, sobald er seinen Beitrag zum Wohl der Menschheit geleistet hätte.
    Bosc hatte ihm so überschwänglich gedankt, dass Milo sich wie der Weihnachtsmann vorgekommen war. Er konnte Boscs Angst riechen, aber anzusehen war dem Kerl nicht das Geringste. Immer nur lächeln, lächeln, lächeln. Und während er das Gerät bediente, schüttete er Milo mit Fachchinesisch zu.
    Immer hübsch Zeit schinden, das war seine eingeübte Psychotaktik.
    Jetzt hielt er endlich die Hände still. »So, das war's, Amigo. Jetzt musst du nur schauen, wo das große X ist, und schon hast du ihn.«
    Milo studierte die Karte. »Besser kriegst du das nicht hin?«
    »Das ist schon verdammt gut«, entgegnete Bosc ein wenig beleidigt. »Ein Radius von weniger als hundert Metern.«
    »Druck's aus.«
    Die Taschen mit Papier voll gestopft, zerrte Milo Bosc aus dem Wagen und ging mit ihm zum Kofferraum des Saab.
    »Okay, Milo, wir vergessen jetzt beide, was passiert ist, nicht wahr?«
    »Okay.«
    »Dürfte ich jetzt vielleicht meine Beine wieder benutzen, Milo?«
    Der ständige, vertrauliche Gebrauch seines Vornamens ließ Milo vor Wut vibrieren. Er blickte die Straße auf und ab, die allmählich im Grau der Dämmerung versank. Während Bosc an seinem Computer herumgefummelt hatte, war nur ein einziges Auto vorbeigekommen. Ein gelber Pontiac Fiero mit einer jungen blonden Frau, die verblüffend an Boscs unfreiwillige Heimvideo-Mitakteurinnen erinnerte. Aber sie war schnell vorübergefahren, an der übernächsten Kreuzung abgebogen und nicht mehr wiedergekommen. Jetzt war die Straße wieder menschenleer. Nur gut, dass L. A. die Hauptstadt von Entfremdung und Isolation war.
    Milo öffnete den Kofferraum des Saab und versetzte Bosc einen harten, gezielten Tritt in die Kniekehle, woraufhin dieser wie erwartet zusammenklappte. Er stieß ihn über die Kante, knallte den Kofferraumdeckel zu, drehte sich um und machte sich auf den Weg, ohne sich durch den dumpfen Trommelwirbel von Boscs Faustschlägen und seine erstickten Schreie irritieren zu lassen. Bei dem Lärm, den er veranstaltete, würde ihn sicher bald jemand finden.
    Er ging rasch zu seinem Polaris, warf einen Blick auf die Tankuhr, ließ den Motor an und raste los in Richtung Freeway 101. Sein Fahrstil unterschied sich kaum von dem der vielen Idioten, die die Straßen von Südkalifornien unsicher machten: viel zu schnell, eine Hand am Steuer, während die andere das Handy umklammerte wie einen Rettungsanker.

42
    Eine raue Stimme brüllte draußen vor dem Blockhaus: »Alles rauskommen, mit erhobenen Händen!« Eine Sekunde später:
    »Keine Tricks, sonst legen wir die Behinderte und den Alten um.«
    Ich kroch näher ans Fenster heran. »Wir kommen raus! Ich muss ihn noch in den Rollstuhl setzen.«
    »Na los, mach schon.«
    Ich ging zurück ins Schlafzimmer und packte die Handgriffe von Bills Rollstuhl. Ich hatte ihm eine leuchtend weiße Wollmütze über den kahlen Schädel gezo gen und ihn trotz der Hitze mit zwei weichen Decken zugedeckt.
    Oder vielleicht war es ja gar nicht so heiß. Ich war schweißgebadet, aber er, der Diabetiker, schwitzte merkwürdigerweise kein bisschen.
    Kurz zuvor hatte er lautlos gebetet, mit zitternden Lippen, die Hände in den Falten der Decken verschränkt.
    Als ich ihn zur Tür schob, murmelte er: »O Gott, o Gott, o Gott.« Dann stießen die Fußstützen des Rollstuhls gegen die Tür und schoben sie auf, und ich trat mit ihm hinaus in die amethystfarbene Abenddämmerung.
    Die beiden Cowboys, die Aimée und Bert in ihrer Gewalt hatten, standen in knapp zwanzig Meter Entfernung auf dem Kiespfad, nicht ganz in der Mitte, sondern etwas näher zum westlichen Rand des Weges, wo der Wald anfing. Der Himmel

Weitere Kostenlose Bücher