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Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Tatortfotos gründlich zu studieren. Dabei dachte ich über Schwinn nach, mit seiner Drogensucht und seinem späten Verzicht auf weltlichen Luxus, aber seine gestohlenen Fotos hatte er behalten. Er hatte sich dem beschaulichen Leben zuge wandt, aber zugleich heimlich diese in Leder gebundenen Abscheulichkeiten zusammengestellt. Während ich die inzwischen wohl bekannten Seiten umblätterte und die Bilder mir vor den Augen zu verschwimmen begannen, riss ich mich von allen Spekulationen los und versuchte, mich auf jeden einzelnen brutalen Mord zu konzentrieren. Beim ersten Durchgang fand ich nichts, doch beim zweiten Mal ließ mich etwas innehalten. Die zwei Bilder vor dem von Janies Leiche. Zwei Seiten davor war ein Farbfoto, aufgenommen aus mittlerer Entfernung, das einen hageren, hoch aufgeschossenen Schwarzen zeigte, dessen Haut sich nach dem Tod bereits grau zu verfärben begonnen hatte. Die Leiche lag ausgestreckt auf brauner Erde, ein Arm war in einer schützenden Geste zum Gesicht hin gedreht. Offener Mund, leblose Augen, gespreizte Gliedmaßen. Kein Blut, keine sichtbaren Verletzungen. Überdosis, möglicherweise Par. 187.
    Die nächste Seite war die gegenüber von Janies Foto. Ich hatte sie gemieden, weil es eines der abstoßendsten Bilder in dem ganzen Album war. Die Kamera hatte einen Haufen zerfetzten Fleisches erfasst, der kaum noch als menschliches Wesen zu identifizieren war. Die unbehaarten Beine und ein übel zugerichteter, eingedrückter Beckenbereich ließen vermuten, dass es sich um eine Frau handelte. Die Bildunterschrift machte weitere Detektivarbeit überflüssig. Geistesgestörte Frau, vor Lastzug gefallen oder gestoßen worden.
    Ich blätterte zurück zu dem hageren dunkelhäutigen Mann. Ich blätterte zum Anfang des Mordalbums zurück, um ganz sicherzugehen. Dann ging ich Milo holen.
    Er war im Wohnzimmer und studierte seine Gasrechnung; in einer Pranke hielt er ein Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit. »Fertig?«
    »Komm und sieh dir das mal an.«
    Er kippte den Rest seines Drinks und folgte mir mit dem Glas in der Hand.
    Ich zeigte ihm die Bilder vor demjenigen von Janie. »Worauf willst du hinaus?«, fragte er.
    »Zwei Punkte«, antwortete ich. »Zunächst einmal der Inhalt: Unmittelbar vor Janie finden sich ein drogensüchtiger Schwarzer und eine weiße Frau mit psychischen Problemen. Kommt dir das nicht bekannt vor? Zweitens der Kontext: Diese zwei Fotos unterscheiden sich in stilistischer Hinsicht von allen anderen in dem Album. Einundvierzig Fotos, einschließlich desjenigen von Janie, sind mit Angaben über den Tatort und den entsprechenden Polizeibezirk versehen. Nur bei diesen beiden ist es anders. Wenn Schwinn die Fotos aus den Polizeiakten entwendet hat, dann hatte er auch Zugang zu allen Daten. Und doch hat er die Ortsangaben weggelassen. Bist du bereit, dich auf eine psychologische Interpretation einzulassen?«
    »Schwinn soll das symbolisch gemeint haben?«, fragte er.
    »Die beiden sollen für Willie Burns und Caroline Cossack stehen?«
    »Sie stellen die fehlende Information dar, weil sie Willie Burns und Caroline Cossack repräsentieren, die beide verschwunden sind. Schwinn hat keine Ortsangaben gemacht, weil der Aufenthaltsort der beiden weiterhin unbekannt ist. Dahinter platziert er Janies Foto und schreibt ›n. a.‹ für ›nicht aufgeklärt‹ darunter. Gleich nach Janie klebt er drei Fotos von Bandenschießereien ein, zu einer Gruppe zusammengefasst. Auch das ist meiner Ansicht nach kein Zufall. Er wusste, wie du es wahrnehmen würdest: als Alltagskram, wie du selbst gesagt hast. Er skizziert hier einen Prozess: Ein vermisster Schwarzer und eine psychisch kranke Weiße werden mit Janie in Verbindung gesetzt, deren Ermordung nie aufgeklärt wurde. Im Gegenteil: Die Ermittlungen werden eingestellt, und danach wendet man sich wieder dem Alltag zu. Was er hier beschreibt, ist die Vertuschung des Falles.«
    Er zupfte an seiner Unterlippe. »Symbolische Spielereien… ganz schön raffiniert.«
    »Du hast doch gesagt, dass Schwinn ein ziemlich verschlagener Typ war«, meinte ich. »Misstrauisch bis hin zum Verfolgungswahn.
    Das LAPD hat ihn rausgeschmissen, aber er hat weiterhin wie ein einzelkämpferischer Cop gedacht, hat bis zum Schluss seine Spielchen gespielt, um sich abzusichern. Er hat beschlossen, dir eine Mitteilung zukommen zu lassen, aber er hat alles so arrangiert, dass nur du die Botschaft verstehen würdest. Falls das Buch in die falschen Hände

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