Das Buch der Vampire 02 - Schwärzeste Nacht
Und es bestand auch nicht die Gefahr, dass sie als Folge einer möglichen Liaison ein Kind bekommen würde, denn Victoria hatte nach ihrer Hochzeit mit Phillip von Eustacia eine Arznei erhalten, mit der sich eine Schwangerschaft verhindern ließ. Dies war eine alte Tradition bei den Gardellas; denn niemand, und am allerwenigsten Victoria, hatte Bedarf an einem schwangeren Venator.
Wenn sie herausfinden wollte, wie es war, einen Liebhaber zu haben, mit dem sie weder verheiratet noch auf sonstige Weise verbunden war, wäre Sebastian die logische Wahl. Denn er verstand und akzeptierte ihr Leben. Er war sich ihrer Verpflichtung bewusst und besaß nicht diesen übergroßen Beschützerinstinkt wie andere Männer. Ihn würde sie nicht belügen oder ihre vis bulla vor ihm verstecken müssen, noch würde er auf eine Heirat drängen.
Er war attraktiv und charmant, und bei ihm fühlte sie sich selbst für einen Vampirjäger stets ein bisschen verwegen. Natürlich stellte sich die Frage, ob sie ihm vollständig trauen konnte. Aber ob nun vertrauenswürdig oder nicht, er verstand es - unter anderem -, sehr gut zu küssen, und sie als Venator konnte schließlich auf sich selbst aufpassen.
Es war etwas, worüber sie täglich nachdachte.
Denn außer ihren Versuchen, Sebastian aus dem Weg zu gehen - und damit ihrem quälenden Gefühlschaos -, gab es für Victoria während der Reise wenig zu tun.
Anfangs hatte sie versucht, in Form zu bleiben, indem sie in der kleinen Kabine, die sie mit Verbena teilte, ihr kalaripayattu übte, aber es gab dort nicht genug Platz. Sie trat aus Versehen immer wieder gegen eins der Betten, und bei einer Gelegenheit prellte sie sich den Ellbogen an der Wand, als sie eine Drehung falsch austarierte.
Deshalb machte sie sich auf die Suche nach einem Ort, wo sie mehr Bewegungsfreiheit hätte. Besser gesagt, sie schickte Oliver los, um einen ausfindig zu machen. Er spürte schließlich einen Lagerraum auf, der aufgrund der Tatsache, dass ihre Passage weniger als zwei Wochen in Anspruch nehmen würde, nicht bis in den letzten Winkel mit Vorräten gefüllt war, wie es bei einer längeren Reise der Fall gewesen wäre.
Also absolvierte Victoria ihr Training dort, manchmal mit Kritanu, manchmal ohne ihn, während Oliver vor der Tür saß und aufpasste, dass niemand hereinkam. Es wäre für einen der Seeleute in höchstem Maße peinlich gewesen, auf Victoria zu treffen, die in weite Hosen und ein tunikaartiges Hemd gekleidet um sich tretend durch den Raum wirbelte.
Eines Tages trainierte sie schon eine gute Stunde und integrierte dabei die überall auf dem Boden verteilten Kisten in ihre Bewegungsabläufe. Mit einem Satz sprang sie auf eine von ihnen, schoss, ihr Kraftmoment nutzend, herum, und wieder nach unten, dann quer durch den Raum auf eine andere.
Victoria schwitzte, und einzelne Strähnen, die sich aus ihrem Zopf befreit hatten, klebten ihr an den Schläfen und im Nacken.
Mit einer blitzschnellen Drehung schnappte sie sich die Machete, die sie in den letzten Tagen beim Training mit Kritanu benutzt hatte, dann sah sie plötzlich, wie die Tür geöffnet wurde.
Sebastian, natürlich.
»Wie bist du hier hereingekommen?«, stieß sie schnaufend und keuchend hervor. Sie stand auf einer der Kisten gegenüber der Tür und wischte sich mit der Hand über die feuchte Stirn. Die Machete baumelte locker in ihrer Hand. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie sie aussehen musste, mit den schweißnassen Flecken an den Seiten ihres Hemds und den weiten, unweiblichen Hosen. Und dann ihre Füße, die nur in leichten Strümpfen steckten.
»Durch deinen Diener Oliver natürlich. Ich habe mich während deiner Trainingsstunden ein paar Mal mit ihm unterhalten - um sein Vertrauen zu gewinnen, weißt du. Und heute erklärte ich ihm dann, dass es gewiss in Ordnung wäre, mich ein wenig zusehen zu lassen.«
Er ging zu Kritanus eigener Machete hinüber und hob sie auf. »Du lernst zu fechten, nicht wahr?«
»Die Technik heißt ankathari , und sie ist wesentlich gefährlicher als die hübschen Pirouetten und Paraden, derer sich ein Franzose beim Fechten bedient.Achte auf die fehlende Elastizität und die Breite der Klinge. Unsere Waffen sind weitaus tödlicher als diese schlanken, biegsamen Degen, die ihr benutzt.«
»Oho! Du willst mich also zu einem Duell herausfordern? Ich nehme gerne an.« Er schwang das Schwert und ließ es durch die Luft sausen, dann legte er es beiseite, um sich Jacke und Krawatte auszuziehen.
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