Das Buch der Vampire 02 - Schwärzeste Nacht
ganz andere.«
Victoria schwieg wieder. Die Verbitterung, die sie gezeigt hatte, brandete ein letztes Mal auf, dann verebbte sie, und zurück blieb nur die quälende Wahrnehmung von Nelkenaroma, in das sich salziger Meergeruch mischte, und die der langgliedrigen Hand, die neben ihrer auf der Reling lag. Sie wurde sich
der Nacht bewusst und der Tatsache, dass sie ganz allein auf dem Achterschiff standen, über dem der Mast, das Segel und das Puppdeck emporragten. Sie hörte das sanfte Flappen der Segel und aus der Ferne den Ruf eines Seemannes.
»Wie seltsam.« Sie merkte nicht, dass sie laut gesprochen hatte, bis sie fühlte, wie Sebastian sich neben ihr bewegte;jedoch nicht, um sie anzusehen, sondern um seinen Jackenaufschlag zurechtzurücken.
»Was meinst du?«
»Mit einem Mann allein nachts hier draußen zu stehen, ohne um meinen guten Ruf fürchten zu müssen. Ich dachte gerade an all die Anlässe während meiner Debütsaison, als ich dauernd aufpassen musste, dass ich nicht allein mit einem Gentleman entdeckt wurde; selbst wenn gar nicht die Gefahr drohte, dass ich meine Tugend verlieren könnte. Aber seit ich verwitwet bin, ist das alles nicht mehr von Belang.«
»Das stimmt.« Er klang amüsiert. »Ich frage mich nur, ob ich beleidigt sein sollte, weil du mich nicht als Gefahr für deine Tugend erachtest.«
»Wärst du eine Gefahr für mich, hättest du längst mit dem ritterlichen Geplänkel meine angeblichen Schulden bei dir betreffend aufgehört. Außerdem hätte ich dir einen Tritt in die Knie verpasst, so wie ich es bei ein paar anderen Gentlemen tat, die glaubten, dass sie sich bei einem Spaziergang auf der Terrasse Freiheiten herausnehmen könnten. Unter anderem. Allerdings bin ich sicher, dass du nicht so dumm wärst, denn schließlich weißt du, dass ich keine durchschnittliche junge Frau bin.«
»Das wäre ich nicht.Aber bilde dir nur nicht ein, dass ich mich manipulieren lasse,Victoria; dazu bist du viel zu klug.«
»Ich habe kein Interesse daran, dich zu manipulieren.«
Er lachte. Nicht so, als hätte sie etwas Komisches gesagt. Es war ein tiefes, grollendes, wissendes Lachen, das Victoria mehr als nur ein wenig Unbehagen bereitete. »Ich könnte mitspielen, ma chère .Tatsächlich bin ich versucht, genau das zu tun. Mehr als versucht.«
Er bewegte sich schnell und so geschmeidig wie ein Seidenschal, sodass sie plötzlich zwischen der Reling und Sebastian, der seine Hände seitlich von ihren auf dem Geländer platzierte, gefangen war. Seine langen Arme waren neben ihren ausgestreckt und hielten sie in ihrer Mitte.
Sein Atem strich warm über ihren Nacken, wo ihr Haar nach oben geweht wurde, sodass ihre Haut nackt und verletzlich war. »Es wäre sehr leicht, dir zu erlauben, mich zu etwas zu provozieren, wofür du selbst zu feige bist.« Seine Worte verursachten ihr ein Prickeln, das ihr in Wellen den Rücken hinunterrann.
»Und was genau ist es deiner verdrehten Wahrnehmung nach, wozu ich zu feige bin?« Sie war froh, dass ihre Stimme so gelassen und leicht war wie der Seewind, obwohl sie seine Nähe hinter sich spürte, wenngleich es keinen anderen Körperkontakt gab als die Berührung seiner nackten Hände an ihren.
Sein Mund war an ihrem Ohr und streifte ganz sachte von hinten darüber, als er die Lippen bewegte. »So mutig du auch sein magst, wenn es darum geht, Vampire und Dämonen niederzustrecken, bist du dennoch zu ängstlich, zuzugeben, dass du gern zu Ende bringen würdest, was wir in der Kutsche begonnen haben. Also versuchst du, mich mit deinen Bemerkungen zu provozieren, in der Hoffnung, dass ich den Kopf verliere und über dich herfalle... Wobei du feststellen würdest, dass es gar nicht so schrecklich wäre, der Versuchung zu erliegen.«
Sie schnappte wütend nach Luft, riss die Schultern zurück, sodass
sich ihre Brüste hoben, und er rückte die Hände näher zusammen, schloss die Arme um sie. »Ich -«
Aber seine Stimme, obwohl sie leiser und ruhiger war als Victorias aufgebrachter Tonfall, erstickte was auch immer sie hatte sagen wollen. »Und dann hättest du eine Rechtfertigung, deinen Argwohn und dein Misstrauen mir gegenüber zu vergessen, ebenso wie deinen guten Ruf und deine Ängste. Denn in Wahrheit, Victoria, begehrst du mich ebenso, wie ich dich begehre. Du scheust bloß davor zurück, eine Entscheidung zu treffen.«
Er verlagerte seine Position, und nun fühlte sie ihn hinter sich, fühlte die unverkennbare Bestätigung seiner Worte sich gegen ihr Kreuz
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