Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
sich dicht vor sie. Seine Augen funkelten golden, als er ihre Schultern umfasste. »Was wird aus den Venatoren, wenn du stirbst oder gefangen genommen wirst? Du kannst da nicht hin.« Er zog sie an sich. Er roch nach Blut, Schweiß und Sebastian. »Du kannst da nicht hin.«
»Ich bin Illa Gardella, ja. Und als diese ist es meine Pflicht zu beschützen.« Sie stieß den Stuhl um. Ein Lederriemen klatschte leise auf den Boden, während die Worte in ihrem Kopf widerhallten.
Die Pflicht zu beschützen.
Wahrlich … die Pflicht zu beschützen, auch wenn es nicht leicht war. Wenn die Wahl schwer fiel. Wenn es im Grunde gar keine andere Möglichkeit gab. Darum ging es.
Konnte sie es tun? Konnte sie in so selbstloser Weise die Sterblichen beschützen, für deren Sicherheit sie die Verantwortung trug? Auch wenn es jemand war, den sie hasste und verabscheute?
Es war leicht gewesen, so leicht, sich für Max und Kritanu anzubieten. Sie hatte kurz etwas in Max’ Gesicht aufblitzen sehen, als Sara die Pistole hervorholte: Er war fast krank gewesen vor Furcht. In dem Moment hatte er gewusst, welches Schicksal ihn erwartete. Und es war nicht die Furcht vor dem Sterben gewesen, die sie auf seinem Antlitz gesehen hatte, sondern das Wissen, dass Lilith ihn wieder in die Finger bekommen würde. Und dieses Mal würde er ohne die Kraft seiner vis bulla nicht in der Lage sein, ihrem Bann zu widerstehen.
Victoria wusste, dass Kritanu es nicht überleben würde. Lilith hatte keinen Nutzen von ihm, und die Vampire würden seinem Blut nicht widerstehen können. Würde Max den silbernen Ring benutzen, wenn Kritanu tot war, um sich ihm anzuschließen? Sie musste zu ihm, ehe er es tat.
Sebastian schien ihre Gedanken gelesen zu haben. »Victoria, Kritanu ist so gut wie tot. Und ebenso Pesaro. Dafür wird er selber sorgen.«
»Wo ist der Ring?«
Er seufzte, drückte sie kurz fester an sich und ließ sie wieder los. Dann strich er ihr mit der verletzten Hand über die Wange, während er versuchte zu lächeln. Doch es gelang ihm nicht. Seine Finger zitterten. »Ich hätte wissen müssen, dass du nicht auf mich hören wirst. So bist du. Das bist du geworden: Du hast dich von einem selbstsüchtigen Mädchen der feinen Gesellschaft, das vergeblich versuchte, sich als Mann zu verkleiden und ein Doppelleben zu führen … in das hier verwandelt. Und ich liebe den Menschen, der du bist, Victoria. Ich habe noch nie eine faszinierendere und intelligentere Frau als dich kennen gelernt.«
Eine Woge aus Schuldgefühlen und Zuneigung schwappte über sie hinweg, und sie holte Luft, um etwas zu sagen. Doch er schüttelte den Kopf, so wie Max es auch getan hätte. »Nicht. Lass uns den Ring holen. Und hoffen, dass Brim und Michalas bald da sind.« Er ließ sie los und trat zurück. Sein charmantes Lächeln war etwas zittrig. »Aber vielleicht sollten wir erst einmal einen Plan machen.«
Erleichtert, dass sie sich auf die R ettung konzentrieren konnte, erwiderte Victoria sein Lächeln mit einer etwas grimmigeren Variante. »Ich habe bereits einen Plan.«
Kapitel 25
Die Vampirkönigin empfängt ihre Gäste
A ls Victoria und Sebastian Brodebaughs Haus verließen, erwartete sie eine weitere Überraschung und etwas, das die Sache für Victoria noch dringlicher machte. Sie fanden Kritanu zusammengesunken auf der Schwelle der Haustür. Aus irgendeinem Grunde war er dort zurückgelassen worden – ein Umstand, der sie ebenso erleichterte wie erschreckte. Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, wie oder warum es dazu gekommen war, und nahm an, dass Max das irgendwie durch seine Klugheit bewerkstelligt hatte.
So würden sie also zumindest Kritanu das Leben retten können. Doch dadurch war Max auf sich allein gestellt, und es war niemand da, den er beschützen musste. Keiner, für den er am Leben bleiben musste, um ihn zu beschützen.
Er wusste, dass sie kommen würde. Sie hatte es ihm gesagt. Aber würde er auch warten? Konnte er es überhaupt in dieser Hölle?
Konnte sie damit rechnen bei ihm?
Tust du denn nie etwas für dich selbst?
Dies war möglicherweise das einzige Mal, dass er es tat.
Sie würde es ihm noch nicht einmal vorwerfen können.
Während sie den Kupferring aus der Wohnung holten, die Sebastian gemietet hatte, und der Fahrt zurück zu Victorias Stadthaus versuchte Sebastian mit ihr zu diskutieren. Er wollte an ihrer statt Lilith gegenübertreten oder zumindest mit ihr zusammen. Aber Victoria war unnachgiebig.
»Du, Brim und Michalas
Weitere Kostenlose Bücher