Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
eines Kekses. Ihre Hand schnellte nach vorn und schnappte sich unter den noch nachdenklich verharrenden Fingern der Herzogin hindurch den schönsten. »Ich bin fest überzeugt davon, dass wir schon mal darüber gesprochen haben: Du irrst dich, Winnie. Ich bin es, die seit R om ständig von Vampiren träumt! Du hast erst damit angefangen, als ich dir von meinen Träumen erzählt habe – von den finsteren, gerissenen Männern, die plötzlich in dunklen Gängen auftauchen und mich in die Enge treiben …«
Victoria hielt es für notwendig einzuschreiten; und aus langer Erfahrung wusste sie, dass es am besten war, ein ganz anderes Thema anzuschneiden. »Mutter, ich fühle mich trotz allem heute ziemlich wohl. Danke, dass du dich um mich sorgst. Das weiß ich wirklich zu schätzen.« Sie bemühte sich, nicht zum Schrankkoffer hinzusehen. Wenn sie ihn gar nicht sah, verschwand er ja vielleicht einfach wieder, zusammen mit ihrer Mutter.
Lady Melly beugte sich nach vorn und tätschelte die Hand ihrer Tochter. »Es freut mich sehr, das zu hören! Wenn du dich tatsächlich wieder erholt hast, kannst du ja heute Abend mit mir zusammen zur Gartenparty der Twisdales gehen. Ich werde Melvindale hereinrufen – sie sitzt mit meinem Gepäck in der Kutsche – und sie kann dann …«
»Deinem Gepäck?« Victoria war sich der Tatsache bewusst, dass ihre Stimme plötzlich zwei Oktaven höher klang, aber das war ihr egal. Die Situation entglitt ihr mit einer Schnelligkeit, mit der auch die Kekse zur Neige gingen.
»Natürlich, Liebes. Auch wenn du eine Witwe bist, kannst du jetzt nicht mehr so weitermachen wie bisher. Eine Nacht ist gerade noch akzeptabel, vor allem wenn keiner Bescheid weiß – was durchaus möglich ist, da ich hergekommen bin, sobald ich davon gehört habe …«
»Mutter. Danke.« Victoria bemühte sich krampfhaft, Haltung zu bewahren im Angesicht einer Mutter, die sie zu überrollen drohte. »Ich brauche keine Anstandsdame. Ich …«
»Aber, Victoria, natürlich brauchst du eine! Du musst immer noch auf deinen R uf achten, wenn du wieder heiraten willst«, erklärte Lady Nilly und versprühte dabei Fontänen von Mandelkekskrümeln.
»Vielleicht lenkst du ja sogar die Aufmerksamkeit des begehrtesten Junggesellen auf dich«, fügte Lady Winnie mit einem schon vertrauten Funkeln in den Augen hinzu. »Schließlich hattest du sogar bereits das Vergnügen, ihn kennen zu lernen, und es wäre so viel leichter …«
Victoria öffnete den Mund für eine entsprechende Antwort; doch was auch immer sie hatte erwidern wollen, um die seltsamen Hoffnungen der Herzogin – die eindeutig denen von Lady Melly entsprachen – zunichtezumachen, blieb ungesagt, als sich die großen weißen Türen zum Salon öffneten.
»Der Marquis von R ockley«, verkündete Lettender.
Die drei älteren Damen sprangen geschlossen auf und drehten sich zu dem neuen Ankömmling um. Victoria rückte das Teetischchen wieder zurecht, ehe sie sich auch umdrehte und James begrüßte.
Bis auf die Kleidung sah er mit seinen ungekämmten Haaren genauso zerzaust aus wie am Abend zuvor. Offensichtlich hatten sich die Dienstboten nicht nur mit Klatsch und Tratsch beschäftigt, sondern sich auch darum gekümmert, dass er von Kopf bis Fuß so gekleidet war, wie es seinem Stand entsprach.
Victoria schaute ihn mit Absicht nicht genauer an, aus Angst, dass sie einzelne Kleidungsstücke vielleicht als die von Phillip wiedererkennen könnte. Sein Umhang und einer seiner hohen Hüte waren immer noch hinten in ihrem Kleiderschrank versteckt, und sie benutzte sie häufig, wenn sie abends als Mann verkleidet nach draußen ging. Sie bildete sich ein, dass den Sachen immer noch sein Duft anhaftete.
Als Victoria sich wieder der Unterhaltung anschloss, hatten die drei Damen James mit seinem amerikanischen Akzent bereits völlig in Beschlag genommen und ihn zwischen Lady Winnie und Lady Melly auf dem Sofa platziert. Mit anderen Worten: Sie hatten ihn genau da, wo sie ihn haben wollten.
»Sie sehen also, Mylord«, erklärte Lady Melly gerade, »dass wir Ihre Gastfreundschaft auf jeden Fall in Anspruch nehmen werden, während meine Tochter ihre persönlichen Dinge für den Umzug vorbereitet – was bestimmt mehrere Wochen in Anspruch nehmen wird, wenn man es ordentlich macht –, aber dass sie einfach nicht allein und ohne Anstandsdame unter Ihrem Dach wohnen kann.«
»Ich wäre sehr erfreut, Sie hier zu haben«, sagte James und schien das sogar völlig ernst zu meinen.
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