Das Buch der Vampire 05 - Sanfte Finsternis
war hier deutlich einfacher als auf dem Friedhof in Prag, wo die Steine wild durcheinander gestanden hatten. Und obwohl sie immer wieder zurückschaute, während sie sich entfernten, konnte sie nichts entdecken, das die unheimliche Stille der Gräber gestört hätte. Es gab keinen Rauch, keine Rauchwölkchen, keine atmosphärischen Störungen.
Doch es war diese Stille, diese Dunkelheit, die nicht weichen wollte, die sie ganz besonders störte.
Sie hatten nichts anderes zu tun, als darauf zu warten, dass die Sonne unterging. Deshalb ritten Victoria und ihre Gefährten in das kleine Dorf zurück, durch das sie auf ihrem Weg zum Friedhof gekommen waren. Das malerische Örtchen bestand aus ungefähr zwei Dutzend Häusern, einer Gastwirtschaft und vielleicht vier oder fünf Läden, die alle direkt an der Straße lagen, welche sich durch den Flecken wand. Sie kehrten in der Wirtschaft ein, um etwas zu essen, sich auszuruhen und zu warten, bis der Mond aufging... wenn er denn überhaupt hinter den Wolken hervorkommen sollte.
Durch die erzwungene Untätigkeit hatte sie leider viel zu viel Zeit, um sich wieder Gedanken zu machen und vor sich hin zu grübeln. Während Michalas und Brim in der Wirtschaft saßen, brütete Victoria so ausgiebig und finster vor sich hin, dass Max wirklich stolz auf sie gewesen wäre.
Dieser verschrobene Gedanke rief ihr natürlich auch sofort wieder den Mann in Erinnerung, sodass sich ihr Magen wie jede Nacht, in der sie versucht hatte zu schlafen, oder jeden Moment, in dem sie zugelassen hatte, dass ihre Gedanken in diese Richtung abschweiften - was häufiger geschah, als sie wollte -, schmerzhaft zusammenzog.
Ihre Wut auf ihn, weil er sie verlassen und sich in Gefahr gebracht hatte, war einer tiefen, beklemmenden Furcht gewichen. Sie versuchte, ihren Zorn wachzuhalten, denn der dämpfte das Entsetzen, solange sie sich diesem heftigen Gefühl hingab; aber es hielt nicht an.
Sie wusste, dass sie ihre Wut sofort hervorholen konnte, wenn sie ihn... falls, bitte, lieber Gott, bitte... wiedersah, um ihm die Haut bei lebendigem Leibe vom Körper zu ziehen. Doch im Moment wollte sie nur, dass er in Sicherheit war.
Aber wie konnte er in Sicherheit sein, wenn Lilith ihn in den Fingern hatte? Würde sie ihn nicht als Erstes in einen Untoten verwandeln, nachdem sie seiner wieder habhaft geworden war?
Victoria schüttelte im Geiste den Kopf. Das würde Max nie zulassen. Das zumindest wusste sie, und sie wusste auch, dass er in irgendeiner Form gewappnet war, nachdem er freiwillig zu ihr gegangen war, um die Ringe zu holen.
War ihm denn nicht klar, dass sie ihm hinterherkommen würde? Er musste es wissen.
Aber er wusste auch... wollte... erwartete von ihr, dass sie sich zuerst um das Portal kümmerte. Sein Opfer wäre völlig umsonst gewesen; sie würde seine Bereitschaft, sich im Austausch für die Ringe auszuliefern, damit das Portal geschlossen werden konnte, verschwenden, wenn sie nicht dafür sorgte, dass es tatsächlich geschah.
Oh, Max.
Tränen stiegen ihr in die Augen, und Victoria drehte sich zum beschlagenen Fenster um, wobei ihr Blick auf die Straße fiel.
Ein Mann, der die Straße entlangging und dabei mehrere andere Fußgänger überholte, zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Er war außerordentlich gut, nach der neuesten Pariser Mode gekleidet, was für ein Dorf in den Bergen, Hunderte von Meilen von jeder Stadt entfernt, etwas sehr Ungewöhnliches war und bestimmt alle Blicke auf sich zog. Doch keiner schien den Mann mit dem Hut mit der geschwungenen Krempe, dem knorrigen Stock und den sorgfältig geplätteten Hosen zu bemerken. Als er fast mit einer Frau und ihrem Kind zusammenstieß, schien die das noch nicht einmal mitzubekommen.
Victoria konnte den Blick nicht von ihm abwenden und beobachtete, wie er die Straße überquerte, auf die Wirtschaft zukam und dann an dem Fenster vorbeiging, an dem sie saß.
Im Vorbeigehen schaute er durch die beschlagene Scheibe. Einen Moment lang trafen sich sein und Victorias Blick, und sie spürte, wie ein kalter, spitzer Speer durch ihren Körper getrieben wurde und sie lähmte, sodass ihr der Atem stockte.
Diese Augen... ausdruckslos und schwarz, unergründlich und doch glühend... zogen sie für diesen kurzen Moment in ihren Bann, während er am Fenster entlanglief und dann seinen Blick von ihr löste.
Kaum konnte sie sich wieder bewegen, sprang sie von ihrem Stuhl hoch. Das Herz pochte ihr bis zum Hals, und sie schlug mit der flachen Hand vor
Weitere Kostenlose Bücher