Das Buch der Vampire 05 - Sanfte Finsternis
sie und eine kleine Gruppe ihrer engsten Anhänger werden heimlich Richtung Norden reisen.«
Victoria hatte das Gefühl, als wäre sie unter Wasser getaucht worden. Alles wurde langsamer, trüber, und sie musste darum kämpfen, noch einen klaren Gedanken zu fassen. Sie könnte Max noch retten.
Sie könnte es schaffen.
»Sie können jetzt, in dieser wolkenverhangenen Nacht aufbrechen und wären morgen da. Und dann kehren Sie hierher zurück, wenn der Mond ausreichend hell ist. Schnell und einfach«, sagte er. »Ganz leicht. Und Sie könnten ihn befreien.«
Aber... nein. Sie kämpfte gegen die Bilder, die auf sie einstürmten, gegen seine einschmeichelnde Stimme, gegen den immer stärker werdenden Drang, sofort loszueilen. Sofort. Jetzt. Sie kämpfte gegen das Verlangen, sofort zur Tat zu schreiten, und konzentrierte sich: Sie hatte etwas zu erledigen. Heute Nacht, wenn der Mond schien, und wenn nicht, dann morgen Nacht.
»Es wird zu spät sein, wenn Sie es aufschieben. Sie wird für immer fort sein. Sie weiß um die herannahende Gefahr.«
Victoria musste sich sehr anstrengen, um seine Worte zu erfassen, doch dann stieß sie zum Kern vor und hakte trotz ihres wabernden, von Visionen umnebelten Verstands nach: »Die herannahende Gefahr?«
»Sie wissen, wovon ich spreche. Bisher ist das Portal nur ein schmaler Spalt. Aber wenn er größer wird und die dunklen Wesen ohne weiteres hindurchströmen, werden die Vampire vernichtet werden. Sie sind hier, um zu versuchen, das Unausweichliche zu verhindern.«
Ja. Ja, genau. Sie musste das Portal schließen.
Victoria blinzelte und konzentrierte sich auf das Gebäude hinter dem dämonischen Mann, wobei sie spürte, wie der Sog, in dem sie gefangen gewesen war, allmählich wieder nachließ. Es fühlte sich an, als würde sie langsam erwachen. »Ich bin hier, um das Portal zu schließen.«
»Das stimmt. Aber Sie begreifen nicht, dass es nicht die Sterblichen sind, derentwegen wir hier sind. Es sind die Untoten.« Seine Stimme blieb wunderbar sanft und einschmeichelnd. »Sie sind es, die uns Luzifers Reich streitig machen. Der Krieg zwischen uns tobt nun schon seit Jahrtausenden; jetzt wird er auf der Erde fortgeführt. Wenn Sie Lilith töten, ihre Festung zerstören, braucht dieser Krieg nicht fortgesetzt zu werden. Wir können in unser Reich zurückkehren und lassen die Menschheit in Frieden weiterleben. Verstehen Sie, Victoria Gardella? Sie können verhindern, dass dieser Krieg auf der Erde tobt, indem Sie Lilith töten. Wenn Sie noch heute aufbrechen. Heute Nacht.«
Sie spürte den Bann der Worte, die sich wie ein Schleier um sie woben, sie mit ihrer Süße, ihrer Logik, ihrer Versuchung förmlich wie in einem Kokon einhüllten.
»Und dann können Sie das Portal schließen. Wir brauchen es dann nicht mehr. Sie haben das, was man dazu braucht, nicht wahr? Tacheds Kugel. Natürlich wird es funktionieren, und Sie werden triumphieren. Sie haben Zeit, weil Sie die Kugel haben, das Schloss. Das Portal ist nur ein kleiner Spalt... Sie haben es heute ja gesehen. Sie haben gesehen, dass keine Gefahr davon ausgeht.«
Seine unwiderstehliche Stimme fuhr fort. »Aber er hat keine Zeit, Victoria Gardella. Er hat überhaupt keine Zeit. Sie wissen das. Sie merken, wie die Zeit verrinnt. Aber Sie können ihn retten. Die anderen... sie können das Portal schließen, während Sie fort sind.«
Das konnten sie.
Brim und Michalas. Sie würden es schaffen.
Aber sie war Illa Gardella.
Sie kam wieder zu sich und vertrieb den Nebel aus ihren Gedanken.
»Aber ich bin Illa Gardella«, sagte sie laut. »Und ich werde das Portal schließen«, fuhr sie fort, wobei ihre Stimme immer kräftiger wurde. Die Bilder wurden von der Kraft ihrer Worte vertrieben und lösten sich auf. Sie sah den Dämon an und sagte: »Ich werde das Portal schließen und dafür sorgen, dass Ihre Lakaien dahinter bleiben. Fort mit Ihnen und Ihren Versuchungen. Meinen Sie etwa, ich würde nicht merken, dass Sie mich in Versuchung führen wollen?«
Sie war gewappnet, als er die Lippen zu einer schrecklichen Parodie eines Lächelns verzog und dabei Zähne enthüllte, die in einem Gesicht, das sich zu einer hässlichen Fratze verzog, lang und spitz wurden. Als er seinen Arm schwang, einen Arm, der groß und kräftig geworden war, zog sie das Fläschchen mit Weihwasser aus der Tasche und entfernte den Korken mit dem Daumen.
Ein plötzlicher Windstoß riss sie mit seiner Heftigkeit fast um. Schwarzer Nebel wirbelte um sie
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