Das Buch der Vampire 05 - Sanfte Finsternis
Nummer 75, zu der man gelangte, wenn man eine kleine Treppe hinunterging. Oben, zur Straße hin, war die Treppe mit einem Eisentor gesichert, damit unachtsame Fußgänger nicht nach unten stürzten - eine Notwendigkeit bei solch einer schmalen Durchgangsstraße. Die nach unten führende Treppe erinnerte Victoria ein bisschen an den Eingang zum Silberkelch.
»Und wenn Katerina nicht da ist?«, fragte Victoria, obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass Antonin ihnen die Wahrheit über den Aufenthaltsort der Untoten gesagt hatte; denn Victoria hatte ihm eine Belohnung für den Fall versprochen, dass seine Angaben richtig waren. Er hatte sich hungrig die Lippen geleckt und begeistert genickt, wohl wissend, dass er das Gasthaus bei strahlendem Sonnenschein ohnehin nicht verlassen konnte.
Er hatte ja keine Ahnung, dass sie etwas ganz anderes mit ihm im Sinn hatte.
»Leider kann ich fast mit Bestimmtheit sagen, dass Katerina da ist. Wir haben uns schon mal hier getroffen.«
Sebastian schob sich an ihr vorbei und stieg die Treppe hinunter, während das Eisentor leise hinter ihm zuschwang. Victoria blieb es überlassen, sich zu fragen, wie dieses »Treffen«
mit Katerina wohl ausgesehen hatte. Sie war sich nur in einem sicher... dass die beiden kein Liebespaar gewesen waren.
Ihr Magen zog sich bei der Vorstellung zusammen, dass ein Sterblicher und ein dämonischer Untoter miteinander intim sein könnten. Schwarze Punkte tanzten kurz vor ihren Augen, und ihr Magen hob sich vor Übelkeit. Diese Gedanken kamen der Erinnerung von dem, was zwischen ihr und Beauregard vorgefallen war, viel zu nahe. Damals... in jenem Zimmer mit ihm, als er fast ihr ganzes Blut ausgesaugt hatte... als sie völlig hilflos war und unter seinem Bann stand, gehüllt in Sinnlichkeit und Lust... die Bilder blieben verschwommen und unscharf. Es waren Erinnerungen, denen sie keinen Raum in ihren Gedanken geben wollte.
Sie wusste es nicht. Sie wollte es nicht wissen.
Und dann war da noch Max. Und Lilith. Die Kontrolle, die die Vampirkönigin über ihn hatte, ihre Besessenheit von ihm. Sein ausdrucksloser Blick konnte viel von seinem Entsetzen verbergen.
Victoria schluckte, schob die Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf das eisige Gefühl in ihrem Nacken. Es war dumm, dass sie sich überhaupt mit solch widerwärtigen Gedanken beschäftigte. Das trug nur dazu bei, dass sie geschwächt und abgelenkt wurde.
Sie würde jetzt nicht länger warten.
Keiner der Fußgänger auf der Straße schien zu bemerken, wie sie den Riegel des Eisentores anhob, hindurchschlüpfte und die Treppe hinuntereilte. Es stank nach Feuchtigkeit und Urin, und sie stellte fest, dass sie aufpassen musste, wo sie hintrat, als sie hinunterstieg. Jetzt fühlte sie sich eindeutig nicht mehr an Sebastians sauberen und gut geführten Silberkelch erinnert.
Die Treppe führte unter die Erde, tiefer und tiefer, so tief, dass kein Sonnenlicht mehr die spiralförmigen Stufen nach unten drang. Als sie unten angekommen war, sah sie das Symbol eines Pferdes vor sich in die Wand gehauen, neben der Tür. Zum einsamen Pferd.
Die schwarze Tür hatte einen altmodischen Tauriegel. Das Tau hing draußen, und sie zog daran, um den kleinen Holzriegel im Innern anzuheben. Sie brauchte nur ganz leicht gegen die Tür zu drücken, und schon öffnete sie sich, wobei sie sich knirschend über den völlig verdreckten Boden schob.
Überrascht stellte Victoria fest, dass sie einen Raum vorfand, der doch sehr an den Silberkelch erinnerte. Der Raum stand voller Tische und Stühle aus abgeschabtem, blank gescheuertem Ahornholz. An den Wänden brannten Lampen, und das Feuer im Eckkamin brachte ein bisschen Wärme in das feuchte Gewölbe. Es roch nach Schweiß, Feuchtigkeit, Bier und... Blut.
Ein Irrtum war unmöglich. Victoria kannte den Geruch von Blut genau. Mehrere Gäste saßen mit unterschiedlichen Trinkgefäßen vor sich in dem Raum, und Victoria musste nicht genauer hinschauen, um zu erkennen, was die meisten tranken. In der einen Ecke stand ein Klavier, an dem eine Frau mit strohblondem Haar saß und stümperhaft vor sich hin klimperte. In der anderen Ecke war ein Tresen, auf dem Flaschen standen, um die sich ein Barmann kümmerte. Die niedrige Decke wurde von schweren Balken durchzogen, zwischen denen Wurzeln wuchsen.
Ihr Nacken fühlte sich so an, als hätte sie sich ein Paket Eis daraufgelegt.
Der Raum war voller Vampire.
Die meisten schauten auf und sahen sie aus roten oder hellroten Augen
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