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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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einer Lichtung liegen blieb.
    David stand auf und klopfte sich die Blätter und die Erde von seinen Sachen. Zögernd näherte er sich dem brennenden Flugzeugwrack. Es war eine JU 88, das erkannte er an der rundum verglasten Pilotenkanzel. David fragte sich, ob jemand von der Besatzung vielleicht noch lebte. Der Leichnam des Schützen war gegen das zersprungene Glas der Kanzel gedrückt; sein grinsender Mund leuchtete weiß in dem verkohlten Schädel. David hatte noch nie den Tod aus nächster Nähe erlebt, jedenfalls nicht auf diese Weise, so gewaltsam und stinkend und entstellend. Unwillkürlich musste er an die letzten Augenblicke des Deutschen denken, gefangen in der glühenden Hitze, die Flammen auf seiner Haut. Ihn überkam Mitleid mit dem Toten, dessen Namen er niemals erfahren würde.
    Etwas schwirrte dicht an seinem Ohr vorbei wie ein nächtliches Insekt, fast unmittelbar gefolgt von einem peitschenden Knall. Sekunden später schwirrte es erneut, doch da hatte David sich bereits auf die Erde geworfen und versuchte, sich kriechend in Deckung zu bringen, während die Munition des Maschinengewehrs explodierte. Er fand eine Senke im Boden, drückte sich flach hinein und presste die Hände auf die Ohren, bis der Kugelhagel nachließ. Erst als er sicher war, dass die gesamte Munition verbraucht war, wagte er es, den Kopf zu heben. Vorsichtig stand er auf und sah zu, wie die Flammen und Funken gen Himmel stiegen. Da erst fiel ihm auf, wie riesig die Bäume in diesem Wald waren, sogar noch höher und dicker als die ältesten Eichen zu Hause. Ihre Stämme waren grau und vollkommen kahl, erst in mindestens dreißig Meter Höhe verzweigten sie sich zu enormen, größtenteils blattlosen Kronen.
    Ein schwarzes, kastenförmiges Ding hatte sich aus dem Flugzeugwrack gelöst und lag jetzt leicht rauchend ein Stück von David entfernt. Es sah aus wie eine alte Kamera, aber mit Rädern an der Seite.
    Es war ein Bombenzielgerät. David hatte Bilder davon gesehen. Damit peilten die Deutschen vom Flugzeug aus ihre Abwurfziele an. Wahrscheinlich war das sogar die Aufgabe des Mannes gewesen, der jetzt verkohlt in dem Wrack lag, denn aus seiner Position hätte er die Stadt genau unter sich gehabt. Davids Mitleid mit dem Mann ließ spürbar nach. Er versetzte dem Bombenzielgerät einen kräftigen Tritt und hörte voller Befriedigung, wie die empfindlichen Linsen im Innern zerbrachen.
    Nun, da die Aufregung vorüber war, schob David die Hände in die Taschen seines Morgenmantels und betrachtete seine Umgebung ein wenig genauer. Ein paar Schritte von ihm entfernt ragten vier leuchtend bunte Blumen aus dem Gras hervor. Sie waren das erste Anzeichen von richtiger Farbe, das er bisher entdeckt hatte. Ihre Blätter waren gelb und orange, und die Blütenherzen sahen aus wie die Gesichter von schlafenden Kindern. Selbst in dem schummrigen Licht meinte David, die geschlossenen Augen, die halb geöffneten Münder und die winzigen Nasenlöcher erkennen zu können. Sie waren ganz anders als alle Blumen, die er je gesehen hatte. Wenn er eine davon pflückte und mitnahm, würde er seinen Vater vielleicht überzeugen können, dass dieser seltsame Ort wirklich existierte.
    David ging durch das raschelnde Laub auf die Blumen zu. Er war fast bei ihnen angekommen, da öffnete eine von ihnen die kleinen gelben Augen, sah ihn und stieß einen schrillen Schrei aus. Sofort wachten auch die anderen Blumen auf, und alle vier rollten schützend ihre Blütenblätter um sich. Die Unterseite war mit Stacheln besetzt und glänzte klebrig. Etwas sagte David, dass es keine gute Idee wäre, diese Stacheln zu berühren. Er dachte an Brennnesseln und Giftefeu. Die waren schon schlimm genug, aber wer konnte wissen, was für ein Gift die Pflanzen hier benutzten, um sich zu verteidigen?
    David rümpfte die Nase. Der Wind trug den Gestank des brennenden Wracks von ihm fort, brachte dafür aber einen neuen heran. Es war wieder dieser metallisch-süßliche Geruch, diesmal jedoch stärker als zuvor. Er ging ein paar Schritte tiefer in den Wald und bemerkte eine ungleichmäßige, gerade so von Laub bedeckte Erhebung am Boden, aus der etwas Rotes und Blaues hervorschien. Sie hatte ungefähr die Gestalt eines Mannes. Als David näher herantrat, sah er Stoff und darunter Fell. Er runzelte die Stirn. Es war ein Tier, aber ein Tier, das Kleider trug. Es hatte krallenbewehrte Pfoten wie ein Hund. David wollte sich das Gesicht ansehen, doch er fand keines. Der Kopf war vom Körper

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