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Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2

Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2

Titel: Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R.R. Tolkien
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sagten sie, diese alte Arznei die Kraft hätte, dieBäume zu heilen, stünden sie bereits in Blüte, denn Vána und Lórien hatten freigebig ihre Wurzeln begossen. Darauf stand Yavanna traurig auf der Ebene, ihr Leib erzitterte, und ihr Gesicht war sehr bleich, so heftig bäumte ihr ganzes Wesen sich auf im Kampf gegen das Schicksal. Die Phiole mit dem goldenen Glanz hielt sie in ihrer rechten, die mit dem silbernen in ihrer linken Hand, und sie stand zwischen den Bäumen und hob die Phiolen in die Höhe, und aus jeder stiegen rote und weiße Flammen wie Blumen empor, die Erde bebte und tat sich auf, und eine Fülle von Blumen und Pflanzen sprang zu ihren Füßen daraus hervor, weiße und blaue zu ihrer Linken, und rote und goldene zu ihrer Rechten, und die Götter waren stumm vor Verwunderung. Da schritt sie vor, warf eine Phiole in den goldenen und die andere in den silbernen Baum, sang die Lieder vom unvergänglichen Wachsen und ein Lied von der Wiederbelebung nach Tod und Vergehen; und plötzlich verstummte sie. Sie stand in der Mitte zwischen den Bäumen, tiefste Stille breitete sich aus, dann ertönte ein lautes Geräusch, und niemand wusste, was geschah, aber Palúrien lag ohnmächtig am Boden; doch viele sprangen ihr bei und hoben sie auf, und sie zitterte und war voller Furcht.
    ›Umsonst, o Kinder der Götter‹, rief sie, ›ist all meine Stärke! Denn seht, auf euren Wunsch hin habe ich meine Kraft wie Wasser auf die Erde gegossen, und wie Wasser hat die Erde sie mir ausgesaugt – sie ist dahin, und ich kann nichts mehr tun.‹ Und die Bäume standen noch immer unbelaubt und starr, und alle, die um sie waren, weinten bei Yavannas Anblick, doch Manwe sagte: ›Weint nicht, o Kinder der Götter, als sei der Schaden nicht zu beheben, denn viele gute Taten bleiben noch zu tun, die Schönheit auf der Erde ist nicht vergangen, und auch die Pläne der Götter sind nicht umsonst gewesen‹; aber trotzdem verließ das Volk kummervoll den Ort, nur Vána blieb zurück, umschlang den Stamm von Laurelin und weinte.
    Nun brach die Zeit der geringsten Hoffnung an und der tiefsten Dunkelheit, die jemals auf Valinor fiel; und noch immer weint Vána, sie schlingt ihr goldenes Haar um Laurelins Stamm, und ihre Tränen tropfen sanft auf seine Wurzeln; und sowie der Tau ihrer zärtlichen Liebe den Baum anrührte – siehe! –, da gebar dieser dunkle Ort plötzlich einen matten Lichtschimmer. Verwundert blickte Vána um sich, und wo ihre ersten Tränen hinfielen, trat aus Laurelin ein Schössling hervor, und er trieb Knospen aus Gold, und von ihnen ging ein Licht aus wie ein Sonnenstrahl, der unter einer Wolke hervorbricht.
    Da lief Vána ein Stück in die Ebene hinaus, erhob mit aller Kraft ihre liebliche Stimme, und sie tönte zaghaft zitternd bis an die Tore von Valmar, und alle Valar vernahmen sie. Da sagte Ómar: ›Das ist Vánas klagende Stimme.‹ Jedoch Salmar erwiderte: ›Nein, hör doch, es ist eher Freude darin.‹ Und alle blieben stehen und lauschten, und die Worte, die sie hörten, waren I·kal’ antúlien, das Licht ist zurückgekehrt. Da war die Aufregung groß in den Straßen von Valmar, das Volk eilte in hellen Scharen über die Ebene, und als sie Vána und den neuen goldenen Schössling erblickten, da brach unvermittelt aus jeder Kehle ein Lied höchster Lobpreisung und Freude hervor; und Tulkas sagte: ›Wahrlich, kräftiger, als sie vorausgesagt, sind die Zaubersprüche Yavannas gewesen!‹ Doch Yavanna schaute in Vánas Antlitz und erwiderte: ›Ach, es ist nicht so, denn hierbei haben meine Zauber nur wenig vermocht, und die sanfte Liebe Vánas ist kräftiger gewesen, und der Tau ihrer fallenden Tränen war heilkräftiger und mitfühlender als aller Glanz von einst: Doch bald, o Tulkas, wirst du eintreten sehen, was ich vorausgesagt habe, wenn du nur achtgibst.‹
    Darauf richteten sich alle Augen auf Laurelin und, fürwahr, die Knospen öffneten sich und trieben Blätter; und diese waren aus feinstem Gold und von anderer Art als die früheren, und während sie noch schauten, kam der Zweig zur Blüte und war mit goldenen Blüten übersät. Als sich nun die Blüten rasch voll entfalteten, schien es, als käme plötzlich ein Windstoß und schüttelte sie von ihren zarten Stengeln, blies sie über die Köpfe der Zuschauer wie feurige Funken, und sie glaubten, es sei Böses im Spiel; doch viele der Eldar erhaschten die schimmernden Blütenblätter und sammelten sie in Körben, doch nur in solchen

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