Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
Arkturus ist) wiederum sehr merkwürdig als ein Himmelskörper beschrieben, der immer am westlichen Himmel steht. Es heißt hier, dass einige der Sterne von den Mánir und den Súruli auf »verwirrende Bahnen« gelenkt wurden, während andere, darunter Morwinyon und Nielluin, »blieben, wo sie hingen, und sich nicht vom Fleck rührten«. Ist die Erklärung darin zu suchen, dass es in den alten Mythen der Elben eine Zeit gab, zu der die sichtbare regelmäßige Bewegung aller Himmelskörper von Osten nach Westen noch nicht begonnen hatte? Diese Bewegung wird in der Kosmologie meines Vaters nirgendwo aus dem Mythos heraus erklärt.
Nielluin (»Blaue Biene«) ist Sirius (im Silmarillion wird der Stern Helluin genannt), und dieser Stern gehört in die Sage von Tulkas’ Sohn Telimektar, obgleich die Geschichte seiner Verwandlung in das Sternbild des Orion niemals ausführlich erzählt wurde (vgl. Telumehtar, Orion, im Herrn der Ringe, Anhang E, I). Nielluin war Inwes Sohn Ingil, der Telimektar folgte »in der Gestalt einer großen Biene, flammenden Honig tragend« (vgl. Anhang der Namen: Ingil; Telimektar ).
Die Bewegung von Sonne und Mond von Osten nach Westen (anstatt in beliebige andere Richtung) bekommt hier eine logischeBegründung: Der Süden wird gemieden, da Ungweliant sich dort aufhielt. Demnach scheint deren Bedeutung groß und das Gebiet, dem sie das Licht entziehen konnte, sehr ausgedehnt gewesen zu sein. In der Geschichte von der Verdunkelung von Valinor wird nicht deutlich gemacht, wo sich ihre Behausung befand. Es heißt (S. 250), dass Melko »über die dunklen Ebenen von Eruman [zog], und weiter im Süden, als bislang jemand vorgedrungen war, stieß er auf ein Gefilde der tiefsten Düsternis« – die Gegend, wo er Ungweliants Höhle fand, die »einen unterirdischen Ausgang ins Meer« hatte; und nach der Zerstörung der Bäume wendet Ungweliant sich »nach Süden und gelangt über die Berge zu ihrer Behausung« (S. 255). Es ist unmöglich, anhand der vagen Linien auf der kleinen Karte (S. 140) genaue Angaben über die exakte Gestalt der südlichen Lande und Meere zu dieser Zeit zu machen.
Verglichen mit dem letzten Teil der Geschichte (die Schaffung von Sonne und Mond aus der letzten Frucht Laurelins und der letzten Blüte Silpions und der »Stapellauf« der Schiffe; S. 299ff.) ist Kapitel XI des Silmarillion (zusammengesetzt aus zwei späteren, nicht sehr stark voneinander abweichenden Versionen) außerordentlich kurz. Trotz vieler Unterschiede lesen sich die späteren Fassungen stellenweise fast wie Zusammenfassungen der frühen Geschichte, doch es ist oft schwer zu entscheiden, ob mein Vater kürzte, weil er der Meinung war, die Beschreibung sei zu lang und nehme in der Gesamtstruktur einen zu großen Raum ein (was mit Sicherheit stellenweise zutraf, vgl. S. 283), oder ob er wirklich einige darin enthaltene Vorstellungen tilgen wollte, um den außerordentlichen »Realismus« seiner Beschreibung zu vermindern. Gewiss gibt es hier einen Überfluss an Stoffen mit »magischen« Eigenschaften: Gold, Silber, Kristall, Glas und vor allem Licht. Das Licht wird als ein flüssiger Stoff aufgefasst, als Tau oder Honig, als ein Element, in dem man baden und das man in Gefäßen sammeln kann, ein Gedanke, der aus dem Silmarillion weitgehend verschwunden ist. (Obgleich die Vorstellung vom Licht als einem flüssigen Stoff, der herabtropfte, strömte, gesammelt und von Ungoliant aufgesogen wurde, für die Idee der Bäume natürlich entscheidend blieb, wird sie in den späteren Schriften weniger detailliert herausgearbeitet, und die Taten der Götter werden nicht mehr als »natürliche« Vorgänge erklärt und gerechtfertigt.)
Weil die Entstehung von Sonne und Mond aus der letzten Frucht und der letzten Blüte der Bäume so ausführlich und eindringlich beschrieben wird, haftet ihr im frühen Text weniger Wunderbares an als im Silmarillion mit seiner prägnanten und schönen Sprache. Doch nur so viel wird hier gesagt, um die Größe der »Frucht des Mittags« und die zunehmende Hitze und den Glanz des Sonnenschiffs nach seinem Aufstieg hervorzuheben, dass man kaum auf den Gedanken kommt, Valinor müsse in den Tagen der Bäume unerträglich grell und heiß gewesen sein, wenn die Sonne, welche die ganze Erde strahlend erhellte, lediglich eine einzige Frucht Laurelins war. In der frühen Geschichte sind die letzten Lebenssäfte, die den sterbenden Bäumen entströmen, äußerst merkwürdig und »gewaltig«, die des
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